Ein Herz für mehr Wahrhaftigkeit

Aus dem Herzen sprechen - gern denken wir dabei an Worte, süß wie Pralinen. Wahrhaftigkeit hingegen schmeckt auch mal bitter. Und kann trotzdem herzlich sein.

Von Alexandra Gojowy

Das Herz ist das erste Organ, das im Menschen angelegt wird. Auf dem Ultraschall-Bildschirm ist es als deutliches Lebenszeichen erkennbar und schlägt von da an unermüdlich, um nach durchschnittlich 80,6 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Bis dahin pumpt der Herzmuskel täglich bis zu 10.000 Liter Blut durch den Körper und verdient damit unsere vollste Hochachtung!

Das Symbol des Herzens wird fast in jeder Sprache gleich interpretiert, steht es doch für eines der wichtigsten Gefühle, zu denen wir Menschen fähig sind: Liebe. Gleichzeitig wird das Herz so stark polarisiert, wie kaum ein anderes Symbol. Es kann brechen, höher schlagen, uns auf der Zunge liegen, bluten, zerreißen oder in die Hose rutschen. Wir können etwas auf dem Herzen haben, uns ein Herz fassen, es ausschütten oder es sogar an jemanden verlieren. Was all diese Redewendungen gemein haben ist, dass die Idee von Herz stark an die allgemeine Auffassung von Liebe gekoppelt ist.

Herz ist gut, Herz ist schön, in seinem Ursprung angenehm, flauschig, rosa rot, liebevoll. Herz ist gütig, rein und verständnisvoll. Paradoxerweise ist das, was wir sagen und tun, wenn wir wirklich von Herzen sprechen, nicht immer angenehm. Denn wenn wir das ausdrücken, was unserer Wahrheit entspricht, kann das anderen Menschen schon mal Herzschmerz bereiten.

Ein Herz für Wahrhaftigkeit

Es scheint, als müssten wir uns grundlegend mit der Definition des Herzens auseinandersetzen. Wahrhaftigkeit kann uns dabei helfen, denn sie ergänzt unsere Idee von Herz um eine weitere Dimension. Wahrhaftigkeit bedeutet das zu sagen, was wir denken und das zu tun, was wir sagen. Sie gehört zu den wichtigsten ethischen Prinzipien unserer Gesellschaft, der Auffassung war sogar schon der Philosoph Immanuel Kant. Nach seiner Vorstellung sei es unsere unsere Pflicht, unter allen Umständen die Wahrheit zu sagen. Aber ist das überhaupt praktisch umsetzbar? Wie viele Freundschaften, Beziehungen und Familienbanden wären bereits zerbrochen, wenn wir immer und zu jeder Zeit die Wahrheit gesagt hätten? Auch Fokus Redakteur Thomas Wolf stellt die berechtigte Frage, ob es ”nicht bereits im banalen Alltag ohne Halbwahrheiten, Notlügen und Floskeln permanent zu Konflikten käme?”

Den eigentlichen Konflikt tragen wir allerdings nicht im Außen aus. Jeder kennt den Gedanken “Das sollte ich jetzt besser nicht sagen, ersie ist eh schon am Ende”, “Ich möchte nicht unnötig Streit anzetteln”, “Ich sollte nicht so übertreiben”, “Eigentlich finde ich das nicht richtig, aber ersie ist mein FreundIn”. Aus Loyalität, Angst, Unsicherheit oder schlicht Bequemlichkeit nehmen wir permanent kleine Anpassungen an unserem Ausdruck vor, auch wenn sie nicht dem entsprechen, was wir wirklich gerne sagen würden.

Schließlich möchte man einem niedergeschlagenen Menschen nicht noch mehr Kummer bereiten und vor allem gute, produktive Ratschläge verteilen, die Mut machen. Wir möchten Worte finden, die bestärken, Szenarien ausmalen, die Hoffnung geben, wir möchten von Herzen sprechen. Was, wenn unser Herz aber etwas ganz anderes sagt?

Motive entlarven

Auf dem Weg zu mehr Wahrhaftigkeit ist es wichtig, zu verstehen, dass die Sprache des Herzens kein richtig und falsch kennt, es kennt lediglich Worte, Gedanken und Gefühle, die das ausdrücken, was ist. Auch wenn es auf den ersten Blick fremd erscheint, so können wahrhaftige, ehrliche Worte das Herz gar nicht verfehlen. Ein Freund möchte immer wieder über eine scheinbar aussichtslose Beziehungsgeschichte diskutieren? Was kann es für einen größeren Freundschaftsdienst geben, als ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er sich verrennt?

Wir helfen, wo wir können, wir möchten, dass es den anderen gut geht. Aber bemühen wir uns wirklich aus Sorge um die andere Person oder darum, dass wir selbst kein Leid mit ansehen müssen? Was, wenn das Ende einer Beziehung, ein Moment der Verzweiflung, ein Augenblick des Stillstands oder des Chaos genau das ist, was eine andere Person für ihren Weg und ihre Weiterentwicklung braucht?

Natürlich geht es nicht darum, jemanden im Regen stehen zu lassen und sich von allen Problemen zu distanzieren. Ganz im Gegenteil, wenn wir aus dem Herzen sprechen, egal ob die Nachricht gut oder schlecht ist, können wir wahres Mitgefühl entwickeln. Was wir dann sagen, entspringt nicht unserem Verstand. Es wird dem entsprechen, was wir mit unseren inneren Sinnen wahrnehmen. Erst wenn wir anfangen, aus diesem Gewahrsein für uns selbst zu sprechen und zu handeln, können wir Unterstützung bieten, die keine Wolkenschlösser baut, sondern eine wahrhaftige Grundlage für Verständnis und Freundschaft bietet.

Wege zu wahrhaftiger Kommunikation

Mehr Wahrhaftigkeit in unsere Worte und Taten fließen zu lassen, ist ein langer Prozess, der viel über unsere Werte und Normen der Kommunikation verrät. So werden wir erfahren, wann wir auf Automatismen der Höflichkeit zurückgreifen, wann wir dem Gegenüber eine rosa Brille aufsetzen und wann wir auf der Grundlage einer idealisierten Vorstellung von Liebe sprechen. Auch wenn es schwer ist, universelle Regeln für wahrhaftige Kommunikation zu finden, schließlich hat auch die Verfasserin dieses Artikels ihre eigene, subjektive Wahrheit, möchten wir hier drei Impulse liefern, die bei wahrhaftiger Kommunikation unterstützen.

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1. Achtsamkeit in den Ausdruck bringen

Wahrhaftige Kommunikation ist nur möglich, wenn wir kleine Impulse in uns selbst wahrnehmen und akzeptieren. Bedeutet: Wenn jemand ein “Ja” hören möchte, wir aber innerlich ein “Nein” spüren, müssen wir uns auch trauen, es auszudrücken. Dazu braucht es vor allem Achtsamkeit für uns selbst und unseren Körper.

Tatsächlich senden uns der Körper und auch unser Herz ständig wichtige Signale, die uns darauf aufmerksam machen, wie wir zu einer Situation wirklich stehen. Herzklopfen, Schweißausbrüche, Druckgefühl im Magen - wenn wir unsere Wahrnehmung schärfen und dieser zu vertrauen lernen, können wir die Informationen aus unserem Inneren auch in unsere Kommunikation fließen lassen. Achtsamkeitsübungen und Meditation sind besonders gut dafür geeignet, denn sie stärken die Verbindung zu uns selbst.

2. Raum für die Selbsterkenntnis lassen

Beziehungen zu führen, bedeutet sowohl, Konflikte auszutragen, als auch harmonische Augenblicke zu teilen. Egal, ob wir ein Liebesbekenntnis aussprechen oder jemandem eine bittere Wahrheit präsentieren, die Reaktion der anderen Person ist gleichermaßen wertvoll - denn sie bietet, in jedem Moment neu, die einmalige Gelegenheit, sich selbst im anderen zu erkennen. Besonders dann, wenn wir einen riesengroßen Widerstand gegen das Gesagte verspüren, sollten wir innerlich ganz still werden und einen Raum für die Selbsterkenntnis entstehen lassen.

Vielleicht bringt uns jemand zur Raserei, weil er oder sie es einfach nicht lassen kann, auf alten Geschichten herumzureiten. Wenn innerlich Platz für Selbstreflexion ist, werden wir im Außen den Teil von uns erkennen, der an einer anderen Stelle im Leben nicht loslassen will. Auch wenn unsere Geschichte eine andere ist, können wir uns fragen, wo wir selbst an der Vergangenheit festhalten. In diesem Moment kann sich plötzlich eine neue Ebene des Mitgefühls für das Gegenüber öffnen.

3. Die eigenen Grenzen respektieren

Wahrhaftige Kommunikation bedeutet auch, die eigenen Grenzen wahrzunehmen. Wir haben gelernt, dass man immer für gute Freunde und die Familie da zu sein hat. Wenn wir ehrlich sind, gibt es aber viele Situationen, in denen wir keine emotionalen Kapazitäten haben, um überhaupt Ratschläge zu geben. Vielleicht sind wir selbst mit einer Situation überfordert oder wollen am Ende eines langes Tages einfach keine Probleme mehr wälzen. Die eigenen Grenzen zu respektieren, ist ein Akt der Selbstliebe, den wir jeden Tag aufs neue praktizieren können. Und genau da beginnt, was wir wahrhaftige Kommunikation nennen.

Es ist der Austausch zwischen dir und deinem eigenen Herzen, zwischen dem, was du dir innerlich mitteilst und was du nach außen trägst. Wir können jemandem ein Freund, loyal und hilfsbereit sein, aber wenn wir es nicht uns selbst gegenüber sind, geht die Wahrhaftigkeit verloren. Ja, es wird weiterhin Konflikte geben, wir werden uns reiben, Menschen enttäuschen und auch mal das aussprechen, was andere Personen nicht hören möchten. Aber wenn wir uns ein Herz fassen und es trotzdem tun, werden wir nicht nur die Verbindung zu uns selbst stärken, sondern auch mehr Wahrhaftigkeit in die Welt bringen.

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Bild: Elizeu Dias auf Unsplash

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