Familie und Beruf: So gelingt der Ausgleich
Familie und Beruf zu vereinbaren ist eine große Herausforderung. Vor allem, wenn wir alles gleichzeitig schaffen wollen. Versuch dich stattdessen am bewussten Ausgleich – und vergiss Multitasking!
von Timea Cheeseman
Familie und Beruf
Wir wollen eine erfolgreiche Karriere. Wir wollen liebevolle Eltern und leidenschaftliche Liebhaber:in sein. Wir wollen Zeit für unsere Freund:innen und ein schönes Zuhause haben. Der deutsche ZEIT-Journalist Marc Brost fasste es einmal ganz passend zusammen, als er sagte: “Wir sind die erste Generation, in der es sozusagen ganz viele Erwartungen und kein klassisches Rollenbild mehr gibt”. Das klassische Rollenbild der Mutter ist ja schon länger im Umbau. Viele Mütter steigen immer früher wieder in den Beruf ein - manche weil sie es wollen, andere weil sie es müssen. Aber auch das klassische Rollenbild des Vaters fängt an, sich zu verändern. Und so kommt es, dass jeder ein bisschen für alles verantwortlich ist, vor allem aber dafür, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. So laufen wir ständig einen Multitasking-Marathon, mit dem Ziel irgendwie und irgendwann allem gerecht zu werden. Und das ist auf Dauer ganz schön kräftezehrend.
Wie gelingt es, den schwierigen Spagat zwischen Beruf und Familie zu meistern? Wie kommen wir aus der Multitasking-Falle? Achtsamkeit kann dir helfen, dir Überforderung einzugestehen, überhöhte Erwartungen loszulassen, und deine Aufmerksamkeit immer wieder ins Jetzt zu bringen.
Alles eine Frage der Organisation?
Wer heutzutage Beruf und Familie vereinbaren will, braucht vor allem eines: Organisationstalent. Wer dieses Talent besitzt, kann nicht nur sein Berufsleben effizient managen, sondern auch das Unternehmen „Familie“ erfolgreich durch den Alltag führen. So zumindest die Theorie. Die Realität aber sieht anders aus. Denn gute Organisation und Planung sind zwar unabdingbar, aber eben auch kein Garant für ein erfolgreiches Berufs- und erfüllendes Familienleben. Wie gut es gelingt, Beruf und Familie zu vereinen, hängt von vielen Faktoren ab, zum Beispiel, wie unterstützend und flexibel der Arbeitgeber ist oder wie die Familienpolitik gestaltet wird. Hinzu kommen Dinge wie Krankheit oder finanzielle Engpässe, die es noch schwieriger machen können, Arbeit und Familie gleichermaßen gerecht zu werden. Die Herausforderung der Vereinbarkeit wird dann noch gekrönt von dem Druck der Selbstoptimierung, hohen Erwartungen und Schuldgefühlen darüber, dass nie genug Zeit ist, für das, was einem alles wichtig ist – ob es der Job, die Kinder, der/die Partner:in, der Freundeskreis oder das eigene Wohlbefinden ist.
Trau dich, Überforderung einzugestehen
„The first step in solving a problem is recognizing there is one.” – ein wunderbares Zitat aus der Serie “The Newsroom”, dass sich jeder zu Herzen nehmen sollte, der das Gefühl hat, überfordert zu sein. Wenn wir es schaffen wollen, Beruf und Familie besser zu vereinbaren, müssen wir uns als erstes eingestehen, dass vielleicht nicht alles so funktioniert, wie wir es gerne hätten. Und das heißt in erster Linie, eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen.
Wie du diese Bestandsaufnahme machen willst, kannst du selbst entscheiden. Vielleicht findest du es hilfreich, dir deine Gedanken und Überlegungen aufzuschreiben. Denn das eigene Gedankenchaos in Worte zu fassen und die Probleme niederzuschreiben, schafft oft schon wertvolle Klarheit. Versuch doch einfach mal für eine Woche jeden Abend folgende fünf Fragen für dich zu beantworten, und in einem Achtsamkeitstagebuch zu notieren:
1. Was hat heute gut geklappt und was nicht? 2. Gab es Momente, in denen ich mich überfordert gefühlt habe? 3. Hatte ich heute das Gefühl, einer Sache oder einem meiner Lebensbereiche nicht gerecht zu werden? 4. Gab es Momente, die mich motiviert haben oder mir Kraft geschenkt haben? 5. Welche Erwartungen hatte ich heute an mich, und konnte ich sie erfüllen?
Wichtig ist, sowohl die positiven als auch die negativen Dinge aufzuschreiben. Denn auch wenn wir uns ein Bewusstsein darüber verschaffen wollen, wo das Problem liegt, heißt das nicht, dass wir dem Negativen mehr Gewicht geben müssen als dem Positiven. Nach einer Woche wirst du wahrscheinlich schon Muster und Tendenzen erkennen, in welchen Situationen du versuchst, zu viel gleichzeitig zu machen oder ob du regelmäßig das Gefühl hast, einer Sache nicht gerecht zu werden.
Befreie dich von überhöhten Erwartungen
Vergiss vor allem nicht: Du bist nicht allein. Den verschiedenen Lebensbereichen in gleichem Maße gerecht zu werden, ist für die Mehrheit der Familien ein Problem. Rund 68 Prozent der Eltern in Deutschland haben Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, so das Ergebnis einer Wahl-Studie der Zeitschrift "Eltern" in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Kantar EMNID. Um diesen Anteil zu senken, bedarf es nicht nur guter Planung, sondern auch der richtigen Unterstützung aus Wirtschaft und Politik.
Auf der individuellen Ebene kann Achtsamkeit dabei helfen, überhöhte Erwartungen loszulassen, und dir weniger Druck zu machen. Betrachte deine Notizen im Achtsamkeitstagebuch und versuche zu erkennen, welche Situationen und Momente, die du negativ eingestuft hast, mit zu hohen Erwartungen an dich selbst verbunden waren. Vielleicht hattest du Schuldgefühle, weil du im Meeting innerlich das Abendessen mit der Familie geplant hast, beim Kindergeburtstag mit den Gedanken bei der Arbeit warst oder dem/der Partner:in nicht richtig zuhören konntest, weil du deinem Kind gerade erklären musstest, warum es noch keinen eigenen Laptop bekommen wird.
Die Antwort auf dieses Problem ist simpel und komplex zugleich: Wir müssen uns von manchen Erwartungen schlicht befreien. Denn der Druck, alles perfekt zu erledigen und sich immer weiter zu optimieren, schafft unnötigen Stress und Unzufriedenheit. Wir können nicht in jeder Situation die perfekte Mutter und Partnerin sein, oder der perfekte Karrieretyp und beste Freund. Natürlich ist es nicht leicht, diese Idealbilder loszulassen, also fang erst einmal klein an! Und wenn das nur heißt, dass du beim nächsten Treffen mit den Freund:innen einfach die Wohnung so ehrlich unaufgeräumt lässt, wie sie ist.
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Ein weiteres Rezept gegen die Überforderung: Sei bei dem, was du gerade tust, ohne Multitasking und schlechtes Gewissen. Viel zu oft sind wir mit den Gedanken überall, nur nicht da, wo wir gerade sind. Bei der Arbeit bedeutet das, dass wir nicht so produktiv arbeiten, wie wir es vielleicht könnten. Zuhause heißt das, dass wir die Zeit mit den Kindern oder dem Partner gar nicht richtig genießen.
Um die Aufmerksamkeit immer wieder ins Jetzt zu bringen, gibt es zahlreiche Wege. Ein einfacher Trick ist, dir innerlich das Wort “Stop” zu sagen und dich so in den Moment zurückzuholen, wenn du merkst, dass du in deinen Gedanken festhängst. Mit Meditation kannst du langfristig lernen, dich leichter auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Eine wichtige Hilfe ist aber auch, Ablenkungen schon im Voraus auszuschließen. Vermeide es, während der Arbeit private E-Mails und Nachrichten zu schreiben. Und schalte nach Feierabend einfach dein Geschäftshandy ganz aus und verzichte darauf, am Wochenende deine beruflichen E-Mails zu lesen. Wer Angst hat, etwas Wichtiges zu verpassen, sollte lieber eine Abwesenheitsbenachrichtigung für seine E-Mails einrichten, als sich permanent zu vergewissern, ob der Kunde vielleicht nicht doch geschrieben hat. Du hast jedes Recht auf Freizeit, und deine Familie freut sich bestimmt über die deine ungeteilte Aufmerksamkeit.
Unser moderner, hektischer Alltag macht es uns leicht, die Gedanken immer wieder davonfliegen zu lassen, und zu versuchen durch ständiges Multitasking, allem und jedem gerecht zu werden. Wenn du dich deinen Herzensmenschen anvertraust, wirst du sehen, dass es vielen berufstätigen Eltern so geht. Wer seinem Beruf, seiner Familie und sich selbst gerecht werden will, muss lernen, in der Gegenwart zu leben – sei es nun mit dem Arbeitskollegen oder der Windel.
(Bild: Daniela Rey auf Unsplash)
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