Heidi Sand: Bergsteigerin und Inspiration
Sportliche Höchstleistungen erfordern physisch und auch mental Ausdauer und Disziplin. Bergsteigerin Heidi Sand hat mit uns über ihren Umgang mit Extremsituationen gesprochen – am Berg und privat.
(Foto: Copyright Heidi Sand)
Heidi Sand ist Bergsteigerin, Bildhauerin und Impulsgeberin. Nach einer Krebsdiagnose wurde ihre Vision, auf dem Gipfel eines Achttausenders zu stehen, zu einer wichtigen Energiequelle auf dem Weg zurück in ein gesundes Leben. 8.848 Meter sollte es hinaufgehen und mit diesem Ziel vor Augen besiegte sie schließlich die schwere Krankheit. Im Jahr 2012 bestieg sie tatsächlich den Mount Everest und bewies damit, dass der Glaube an ein Ziel Berge nicht nur versetzt, sondern auch erklimmbar macht.
Neben all diesen Errungenschaften ist Heidi Sand vor allem ein Mensch, der inspiriert. Im Interview hat sie uns nicht nur verraten, wie Meditation und Extremsport zusammenhängen, sondern auch ganz persönliche Einblicke gewährt. In tägliche Routinen, den Umgang mit ihrer Erkrankung und ihre neue Wertschätzung für das Leben.
1. Wie sieht der ganz normale Alltag im Leben einer Bergsteigerin aus? Haben Sie eine bestimmte Routine, der Sie jeden Tag nachgehen?
Wenn ich morgens aus dem Bett falle, beginne ich den Tag in der Regel mit ein paar einfachen Yoga-Übungen: drei Sonnengrüße, manchmal ein paar mehr und danach den Katzenbuckel. Danach gehe ich dann normalerweise eine gute Stunde in den Wald, um zu laufen. Den Rest des Tages – sollte ich nicht in den Bergen unterwegs sein – verbringe ich in meinem Atelier und arbeite an Skulpturen. Hin und wieder streue ich auch eine kleine meditative Praxis ein. Abends werde ich dann erneut aktiv und gehe in die Kletterhalle oder steige aufs Mountainbike.
2. Höhenbergsteigen ist Leistungssport unter Extrembedingungen. Konzentration und Fokus sind essentiell für einen erfolgreichen Aufstieg. Abgesehen von der körperlichen Fitness, wie bereiten Sie sich mental auf Ihr nächstes Ziel vor?
Wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, nehmen wir zum Beispiel die Eigernordwand, versuche ich mich körperlich, das heißt mit verschiedenen Trainingsformen, auf hundert Prozent zu bringen. Eine körperliche Top-Verfassung ist die Grundlage, um hohe Ziele zu erreichen – egal ob diese Ziele Berggipfel sind oder ganz allgemeine Ziele.
Die andere Seite meiner Vorbereitung ist die mentale Vorbereitung. Diese beginnt bei mir ganz schlicht mit Lesen. Ich lese alle Tourenberichte und Bücher, die es zu dieser Wand gibt. Außerdem schaue ich mir sehr genau die Topos, also die grafische Darstellung der Kletterroute, dieser Wand an. In einem zweiten Schritt, wenn ich ausreichend Informationen gesammelt habe, beame ich mich sozusagen immer wieder in die Wand. Ich stelle mir verschiedene Situation so genau wie möglich vor. Zum Beispiel wie es ist, auf einem kleinen Felsvorsprung den Schlafsack auszupacken und den Kocher an der Wand zu befestigen. Auch lasse ich jede Sicherung, die ich vornehmen muss, mental vor mir ablaufen. Besonders intensiv gehe ich im Geiste die schwierigen Kletterstellen, die sogenannten Schlüsselstellen durch. Dabei gehe ich von Mal zu Mal immer mehr ins Detail.
3. Sie haben schon einige Erfahrung mit dem Thema Meditation gesammelt und nutzen auch 7Mind. Wie hat mentales Training Ihnen geholfen, Ihre sportliche Disziplin und Ausdauer zu stärken? Und wie integrieren Sie die Übungen in Ihren Alltag?
Die körperliche Fitness ist das eine, um auf die höchsten Berge dieser Welt zu steigen, aber das andere – für mich am Ende der noch wichtigere Faktor – ist die mentale Stärke, die es am Berg braucht. Wenn ich eines meiner Ziele definiert habe, mache ich meine Liste, welche körperlichen Herausforderungen ich bewältigen muss. In der Regel erfordert eine Vorbereitung dann Ausdauerläufe, Bergläufe und Kletterrouten zur Vorbereitung. Bevor ich nicht an jedem einzelnen Posten einen Haken gemacht habe, würde ich mir selbst nicht erlauben, zu einer Expedition aufzubrechen.
Es bedarf einer immensen Disziplin, sich an die definierten Trainingspläne zu halten. Damit mir dies gelingt, stelle ich mir oft, sehr oft, vor, wie wunderbar das Gefühl sein wird, wieder auf einem Gipfel stehen zu dürfen. Und bei dieser Vorstellung werde ich euphorisch und kann mich beim Training quälen. Durch diese meditativen Gedankenreisen habe ich also ständig mein Ziel vor Augen. Für mich ist es die entscheidende mentale Unterstützung, um die notwendige Disziplin aufzubringen. Das Meditieren oder meditative Praktiken auf der anderen Seite sind für mich eher die notwendige Unterstützung, um fokussiert bleiben und in Extremsituationen Ruhe bewahren zu können.
4. Als Bergsteigerin müssen Sie sich äußerer Bedrohungen, wie Steinschlag oder Lawinen, ständig gewahr sein. Wie sind Sie damit umgegangen, als Sie plötzlich einer inneren Gefahr, in Form von Darmkrebs, begegnen mussten?
Diese Diagnose kam total unerwartet und hat mir auch für einen Moment den Boden unter den Füßen weggezogen. Mir war jedoch sofort klar, dass ich aktiv werden muss, mich nicht in Passivität ergeben darf. Ich absolvierte also ziemlich gleich eine kleine Joggingrunde. Und dann war es für mich klar, dass ich das gleiche Schema anwenden werde, das ich nutze, um eine Bergtour zu planen und umzusetzen. Mein großes Ziel war es, den Krebs zu besiegen, und dazu musste ich auf meiner Liste die Posten wie Operation und Chemotherapie abhaken. Ganz wichtig war für mich auch, dass ich eine Vision entwickelte, was nach dem Krebs kommt.
Meine Vision, meine Belohnung für die Zukunft, war es, meinen Traum wahr zu machen, den Mount Everest zu besteigen. Am Ende habe ich den Krebs besiegen können und stand neben dem Mount Everest auf zwei weiteren Achttausendern.
5. Hat sich die Beziehung zu Ihrem Körper nach Ihrer Krebserkrankung verändert? Wie schaffen Sie es, Körper und Geist in Einklang zu bringen?
Ich höre definitiv mehr in mich hinein. Schaffe meinem Körper und meinem Kopf längere Ruhephasen. Morgens bei meinen Waldläufen kann es schon einmal passieren, dass ich mich im Schneidersitz auf den Boden setze, meditiere und so in einen wunderbaren Augenblick versinke. Dabei kann ich nur jedem raten, auf die eigene innere Stimme zu achten, nur das zu tun, was einem wirklich wichtig ist. Zudem Abstand zu gewinnen von Oberflächlichem und ab und an auch mal in den Wald oder auf die Berge zu gehen – und dabei das Smartphone auszulassen.
6. Neben Ihren eigenen Expeditionen bieten Sie auch Coachings am Berg an. In Extremsituationen kann die Führung eines Teams über Leben und Tod entscheiden. Was macht für Sie gute Führung aus?
Entscheidungen am Berg, in Extremsituationen, müssen zum Teil sehr schnell getroffen werden. Am Berg sind wir zudem sehr von äußeren Einflüssen, in erster Linie vom Wetter, abhängig. Mein Fokus liegt darauf, mich im Vorhinein so gut wie möglich über alle Gegebenheiten zu informieren. Es ist wichtig, alle Informationen parat zu haben, wenn es darauf ankommt.
Wenn dann eine Extremsituation entsteht, sei es ein Wetterumschwung, Steinschlag oder eine Lawine, bin ich in der Lage, die bestmögliche Entscheidung zu treffen, was zu tun ist, um mein Team und mich in Sicherheit zu bringen. Ich suche nach Lösungen und lasse mich vom Problem selbst nicht verrückt machen. Es gibt immer eine Alternative, die es zu wählen gilt. Verantwortung für ein Team zu übernehmen und im Sinne des gemeinsamen Ziels zu handeln, macht für mich eine gute Führung aus. Ein Team definiert gemeinsam ein Ziel und die Führungskraft ist – wie jeder andere im Team auch – in der Verantwortung, das Beste zu geben, damit das Team das Ziel erreicht.
Führung, Verantwortung, Entscheidungen unter Unsicherheit, in der Balance-Sein, sind Themen, die ich in meinen Vorträgen aufnehme und im Zuge von Coachings am Berg vermittle. Dabei können Teilnehmer Erfahrungen nacherleben, die ich am Berg mache – natürlich immer angepasst auf den entsprechenden Teilnehmer.
7. Viele Menschen wünschen sich mehr Glück und Dankbarkeit in ihrem Alltag. Haben Sie einen Tipp, wie man mehr Wertschätzung für sein eigenes Leben entwickeln kann?
In Nepal und auf meinen Reisen weltweit erlebe ich Menschen, die in großer Armut leben, keinerlei materielle Dinge besitzen. Auch durch diese Erfahrungen und Begegnungen habe ich gelernt, dass es nicht viel braucht, um glücklich zu sein. Mir ist Eigenverantwortung sehr wichtig. Wir neigen gerne dazu, immer anderen die Schuld zu geben, dass etwas nicht so läuft, wie wir es gerne hätten. Früher waren es die Eltern, später die Lehrer und dann der Partner oder Vorgesetzte. Am Berg bin nur ich gefordert. Denn ich kann schlecht dem Berg die Schuld geben, wenn ich abstürze. Das Glück zu haben, den Moment und die Einzigartigkeit unserer Natur erleben zu dürfen, das treibt mich an und führt dazu, dass ich das tue, was notwendig ist, damit es mir gut geht. Denn nur, wenn ich in erster Linie auf mein Wohlbefinden achte, nicht in einem egoistischen Sinne, sondern in einem mich schätzenden Sinne, kann ich auch für andere da sein.
Jeder sollte sich bewusst machen, dass es für die individuelle Balance unglaublich wichtig ist, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Wie sollen andere mich wertschätzen, wenn ich mich selbst und meine Bedürfnisse nicht achte und schätze? Glücklich und dankbar zu sein, ist an erster Stelle eine Entscheidung, die man für sich treffen muss – im Übrigen auch der erste Schritt, eine gewisse Resilienz zu entwickeln.
Vorträge und Coachings am Berg werden von Heidi Sand gemeinsam mit der AthletenWerk GmbH entwickelt. AthletenWerk bietet Führungskräften und Mitarbeitern von Unternehmen den Zugang zu Wissen aus dem Spitzensport. Dieses Know-how wird gezielt eingesetzt, um in einem ganzheitlichen Ansatz nachhaltig positiv auf das individuelle Mindset und die persönliche Leistung zu wirken.
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