Frauen in IT-Berufen: Was brauchen wir für echte Gleichberechtigung?
Eine Karriere in der Technologiebranche ist für Frauen ein steiniger Weg. Wie steht es um die Gleichberechtigung bei 7Mind und wie kann eine inklusive Förderung aussehen? Ein Artikel von unserer Kollegin Joanna, die für Diversität und Inklusion zuständig ist.
von Joanna Matzenauer
Kleine Anmerkung: Joanna ist DEI-Specialist (*Diversität, Equity & Inclusion) bei 7Mind. Das bedeutet, sie kümmert sich darum alle Themen rund um Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion im Unternehmen sichtbar zu machen und eine langfristige Vision zu entwickeln, die zu unseren Zielen und -werten passt. Im Artikel teilt sie mit uns ihre Expertise zum Status Quo in Sachen Gleichberechtigung in Tech-Berufen und führt ein Gespräch mit Jo, eine von neun Frauen im Product Team bei 7Mind. Viel Spaß beim Lesen!
Was ist 2023 der Status Quo für Frauen in der Digitalbranche?
Ungleiche Gehälter, unreflektierte Stereotype und zu wenig inklusive Förderung - der Weg in die Technologiebranche ist für Frauen voller Hürden. Besonders Frauen, die zusätzlich Teil einer Minderheit sind, werden kaum mitgedacht.
Moderne Technologie ist für alle da, ungeachtet des Alters, des Geschlechts oder der Herkunft einer Person. Technologie und der digitale Raum fördern die Vernetzung von Menschen und beeinflussen uns weltweit in fast allen Bereichen des Alltags. Technologie ist für alle da, ja, aber wird sie auch von allen gleichermaßen mitgestaltet?
Die Antwort darauf lautet leider auch im Jahr 2023: nein. Die Technologiebranche ist weiterhin überwiegend weiß und männlich. Laut einer Studie liegt der Frauenanteil in der Digitalbranche trotz Fachkräftemangel und stark umkämpften Talenten bei nur 22% (1). Frauen, die sich entscheiden, in die Tech-Branche zu gehen, verlassen diese laut Statistik außerdem doppelt so häufig wieder wie ihre männlichen Kollegen. Das Buch “Brotopia - Breaking up the Boys’ Club of Silicon Valley” von Emily Chang beschreibt dazu umfangreich, wie Frauen in der traditionell männlich besetzten Branche unter anderem mit aktiver Diskriminierung und deutlichen Gehaltsunterschieden konfrontiert werden (2). Grund dafür sind auch immer wieder reproduzierte Stereotype, wie der altbekannte “Computer-Nerd”, der zweifelsfrei als männlich karikiert wird. Es herrscht offenbar häufig noch Skepsis gegenüber Frauen, inwieweit diese die notwendigen Fähigkeiten für technische Berufe mitbringen. Dabei ist längst belegt, dass Geschlechterdiversität in Unternehmen vor allem in höheren Führungspositionen die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens merklich steigert (3).
Zu der Ungleichheit der Geschlechter kommt noch ein weiterer wichtiger Aspekt hinzu, wenn man der Frage nachgeht, welche Frauen denn eigentlich in der Digitalbranche arbeiten. Diversität zu fördern bedeutet nämlich auch, Intersektionalität, also Mehrfachdiskriminierungen mitzudenken. Diese können sich unter anderem auf die Nationalität, Hautfarbe, körperliche Behinderungen, den Bildungshintergrund oder die sexuelle Orientierung einer Person beziehen.
Wo steht 7Mind als digitales Unternehmen? Was machen wir gut, wo ist noch Potential?
“Frauen wird es immer noch sehr schwer gemacht, sich ihren Raum zu nehmen.”, sagt Jo, eine von neun Frauen im Product Team bei 7Mind. Es muss außerdem weniger Tabus in der Branche geben, was die Bedürfnisse von Frauen im Arbeitsalltag angeht.
Die Entwicklung von 7Mind entspricht der klassischen Start-Up Geschichte. Gegründet von zwei jungen Wirtschaftsstudenten, anschließend über mehrere Jahre organisch gewachsen, beschäftigt 7Mind zur Zeit etwa 66 Mitarbeitende. Insgesamt erreichen wir eine fast gleiche Aufteilung zwischen Männern und Frauen, der Frauenanteil ist sogar aktuell etwas höher. Das scheint auf den ersten Blick positiv. Schaut man sich die Aufteilung nach Teams an, zeigt sich aber ein anderes, ein klassisches Bild. Das mit Abstand größte Team und auch “historisch” immer das größte gewesen, ist das Product Team. Es umfasst aktuell 26 Personen, bestehend aus den verschiedenen Bereichen rund um die App Entwicklung. Das entspricht etwa einem Drittel aller Mitarbeitenden. Im Product Team sind 17 Männer und 9 Frauen beschäftigt. Eine davon ist Jo. Sie stammt aus Indien, arbeitet seit drei Jahren bei 7Mind im Bereich Quality Engineering und wurde ursprünglich von ihren Eltern dazu ermutigt, in der Tech Branche zu arbeiten. Jo erzählt mir, was aus ihrer Sicht bei uns schon besonders gut funktioniert, aber auch, wo wir im Bereich Gleichstellung und Diversität noch wachsen können.
Im Einstellungsprozess achten wir laut Jo bereits deutlich mehr auf die Qualifikation als auf das Geschlecht der Person. Der “gender-bias”, also systematische geschlechterbezogene Vorurteile und Stereotype, ist daher nicht besonders hoch. Die meiste Zeit fühlt sie sich im Team als Jo wahrgenommen, nicht primär als Frau oder als Woman of Color.
Wir sind als Firma bereits sehr offen, was gendergerechte Sprache angeht. Und wir bieten faire, transparente Entwicklungsmöglichkeiten für alle.
Was die Kommunikation betrifft, sieht Jo einerseits noch viele Stereotype. Wird zum Beispiel intern über User gesprochen, ist das meist ein Mann, “Der User”. Die Kommunikation innerhalb des Teams beschreibt sie gleichzeitig als sehr offen, ohne viele Tabus oder Vorurteile, was sie als sehr erfrischend empfindet. Alle im Team können ehrlich über persönliche Herausforderungen sprechen. Und vor allem: Jo’s Erfahrungen als Woman of Color im Tech Bereich werden ernst genommen. Niemand spricht ihr diese ab oder projiziert eigene Erfahrungen auf sie. Es wird im Team anerkannt, dass sie als Teil einer Minderheit anderen Herausforderungen gegenübersteht, als beispielsweise ihre Kolleginnen aus Deutschland. “Als Woman of Color muss ich automatisch mehr Aufwand betreiben, als meine deutschen Teammitglieder, um gehört zu werden. Ich muss mich besonders anstrengen, um die gleiche Position zu erreichen wie meine männlichen Kollegen.”
Das wiederum sei nichts, das nur auf 7Mind zutrifft, sondern generell für die Unternehmenswelt gelte. Wenn das Team aus Verbündeten besteht, die zuhören und aktiv nach persönlichen Erfahrungen fragen, schafft das Sicherheit und Zusammenhalt. Das bedeutet auch ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit und damit mehr Raum für Produktivität.
Was bei 7Mind noch fehlt, sind aus Jo’s Sicht mehr Frauen in Führungspositionen. Auch zum Thema Diversität zeigt sie einen wichtigen Unterschied auf: “Auch wenn wir Personen aus unterschiedlichen Kulturen oder verschiedenen Geschlechts einstellen, heißt das noch nicht, dass wir automatisch Diversität in unserem Team haben.” Gleichstellung und Diversität müssen also dauerhaft gefördert werden. Tabus aufzubrechen erfordert viel Mut. Sie selbst traut sich, sich kritisch zu äußern, das gilt aber bei Weitem nicht für alle Frauen. Sich Raum zu nehmen, eine andere Meinung zu vertreten - aus ihrer Erfahrung wird das vielen Frauen im Tech-Bereich noch sehr schwer gemacht.
Wie können wir als gutes Beispiel für andere Firmen voran gehen und Frauen im Tech-Bereich fördern?
Es bedarf nicht nur politischer Regelungen, sondern vor allem einem Wandel in der Unternehmenskultur. Das Anpassen der strukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen innerhalb eines Unternehmens muss dabei von allen mitgetragen werden - auch von Männern.
Was ich im Gespräch mit Jo lernen konnte, trifft sich erstaunlich gut mit der Vision und dem Purpose von 7Mind - Achtsamkeit. Frauen können über viele Wege gefördert werden, ein Teil der Technologiebranche zu werden und das auch zu bleiben. Dabei ist auch die Initiative derer gefragt, die aktuell die Mehrheit dieser Positionen besetzt - die Männer. Das, was Jo als herausragend positiv in ihrem Team beschreibt ist die Art, wie aufeinander geachtet wird und wie ihre Perspektive als Frau mit Migrationshintergrund bewusst und aktiv eingebunden wird. Zuhören, nachfragen, ernst nehmen. Eigene Stereotype reflektieren und eine hohe Lernbereitschaft aufzeigen, auch unbewusste Vorurteile immer wieder zu hinterfragen, das braucht Zeit und das richtige Training. Wir planen daher bei 7Mind ein internes Training zu unbewussten Vorurteilen - unconscious bias - für alle durchzuführen. Unseren Einstellungsprozess werden wir dahingehend verbessern, Frauen aktiv zu ermutigen, sich im Product Team zu bewerben. Das kann zum Beispiel gelingen, indem wir gezielt nach weiblichen Arbeitskräften suchen.
Der Verein Women in Tech nennt als eine Stütze zur Förderung neben Mentoring- und Förderprogrammen auch Diversity- und Gleichstellungsinitiativen in Firmen (3). Diesen Bereich bauen wir bei 7Mind insbesondere seit 2022 kontinuierlich aus. Im Mai 2023 haben wir beispielsweise die Charta der Vielfalt unterzeichnet und sind damit eine freiwillige Verpflichtung zu mehr Diversität und Chancengleichheit bei 7Mind eingegangen. Als Teil des People & Culture Teams haben wir nun den Bereich Diversität und Inklusion besetzt. Im Juli wird es zahlreiche interne Initiativen und Lernangebote zum Thema Gender und Diversität geben.
Moderne Rollenbilder müssen gefördert und vor allem aktiv vorgelebt werden. Das können wir tun, indem wir Frauen wie Jo eine Plattform geben, sichtbarer zu werden und andere Frauen in der Digitalbranche zu unterstützen, zu ermutigen. Der Verein Women in Tech betont dabei, dass ein Wandel hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit keineswegs nur politisch oder wirtschaftlich stattfinden kann (3). Es liegt besonders in der Verantwortung von Unternehmen, Frauen in technische Berufe zu integrieren und dort zu fördern. Der strukturelle Aufbau eines Unternehmens, wie etwa inklusivere Einstellungsprozesse und die Unternehmenskultur, bildet dafür den entscheidenden Rahmen.
Auf die Frage, was sie besonders an ihrer Rolle als Woman of Color im Tech Bereich mag, sagt Jo: “Dass ich meine Stimme einsetzen kann, um es für andere einfacher zu machen. Dass ich mit dem Stereotyp brechen kann, Frauen und besonders Women of Color hätten in der Digitalbranche keinen Platz.”
Quellen
(1) Hühne, Philipp. 2023. “Weibliche Tech-Talentlücke: Nur 22% aller europäischen Tech-Jobs von Frauen besetzt” McKinsey & Company, 24. Januar 2023. https://www.mckinsey.com/de/news/presse/europa-mit-grosser-talentluecke-bei-frauen-in-tech-jobs-technologieberufe-mint.
(2) Chang, Emily. 2018. Brotopia: Breaking Up the Boys' Club of Silicon Valley, Portfolio Penguin; https://www.buecher.de/shop/englische-buecher/brotopia/chang-emily/products_products/detail/prod_id/53686800/
(3) Hühne, Philipp. 2023. “Weibliche Tech-Talentlücke: Nur 22% aller europäischen Tech-Jobs von Frauen besetzt” McKinsey & Company, 24. Januar 2023. https://www.mckinsey.com/de/news/presse/europa-mit-grosser-talentluecke-bei-frauen-in-tech-jobs-technologieberufe-mint.
(4) Women in Tech e.V. “Was müssen wir von Politik und Wirtschaft fordern, damit diverse und nachhaltige Innovationen und Technologien möglich werden?” Accessed June 27, 2023. ****https://www.womenintechev.de/was-muessen-wir-von-politik-und-wirtschaft-fordern-damit-diverse-und-nachhaltige-innovationen-und-technologien-moeglich-werden/
Zum Weiterlesen
Beckert, Franziska. 2020. Gender Diversity in der Tech-Branche: Warum Frauen* nach wie vor unterrepräsentiert sind, Budrich Academic Press; https://www.jstor.org/stable/j.ctv1bvndtf
Five Teams. 2023. “Frauen in der IT-Branche: Herausforderungen & Relevanz.” Accessed June 27, 2023. https://www.fiveteams.com/ratgeber/frauen-in-der-it-branche
Internationale Organisation für Women in Tech, gegründet 2018 mit call to action, girls und women in tech zu fördern: https://women-in-tech.org/
Tagesschau Artikel zum Frauenanteil in der Tech Branche: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/frauenanteil-tech-branche-europa-wachstum-101.html
Bundesministerium für Wirtschaft und Zusammenarbeit zu women in tech: https://www.bmz.de/de/themen/women-in-tech
Globale top 100 women in tech leader: https://www.womentech.net/women-in-tech-to-watch
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