Durch Achtsamkeit zu mehr Diversity-Bewusstsein in Unternehmen
In den letzen Jahren wird immer mehr über Diskriminierung und Inklusion am Arbeitsplatz diskutiert. Wie Achtsamkeit dabei hilft, das Bewusstsein für Diversität zu steigern und die Potentiale von facettenreichen Teams voll zu entfalten, erfährst du in diesem Gastartikel.
von Dr. Nico Rönpagel
Was ist DEI?
“Diversity - Equity - Inclusion”, kurz DEI, hat sich in den vergangenen Jahren vor allem im beruflichen Kontext etabliert: in Diskussionen rund um Benachteiligung und Gleichstellung am Arbeitsplatz. “Diversität” bezieht sich auf verschiedene Faktoren wie z.B. kulturellen Hintergrund, Alter, Geschlecht, Bildung und Religion, um nur einige zu nennen. Uns über die Diversität bewusst zu werden, ist der erste Schritt - wenn nicht sogar die Grundlage - um uns mit den Themen der (Verteilungs)Gerechtigkeit und Inklusion zu beschäftigen. Neben dem DEI-Dreigespann findet sich gelegentlich auch “Belonging” (Zugehörigkeit), um ein Gefühl von kollegialer Verbundenheit und gemeinsamer Verantwortung zu beschreiben.
Bildquelle: www.wevolve.company/diversity-de
Das hohe Potential diverser Teams
Unternehmen arbeiten zunehmend internationaler - und damit werden auch ihre Teams immer diverser. Daraus ergibt sich nicht nur eine ethische Frage, sich mit Diskriminierung und Gleichberechtigung am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen; es gibt auch eine klare wirtschaftliche Motivation. So belegen verschiedene Meta-Studien¹, dass facettenreiche Teams und Organisationen eine höhere Produktivität, Kreativität und eine geringere Fluktuation unter Mitarbeiter:innen bewirken.
Um dieses Potenzial freizusetzen und um einen Beitrag zu einer gerechteren (Arbeits-)Welt zu leisten, möchten Organisationen Chancengleichheit und Inklusivität fördern. Dieser Wandel beginnt mit der Haltung und dem Verhalten jeder einzelnen Person.
Kein Raum für Diskriminierung
Die Förderung von Vielfalt schließt auch den Abbau diskriminierender Strukturen mit ein. Denn Rassismus, Sexismus und andere Formen ausgrenzenden Verhaltens sind nicht akzeptabel und stehen einer reibungslosen Zusammenarbeit und einer psychologischen Sicherheit am Arbeitsplatz im Weg.
Diskriminierende Dynamiken in der Gesellschaft spiegeln sich häufig in Arbeitsumgebungen wider, teilweise auf kaum wahrnehmbare Weise, bspw. in subtil-sexistischem Humor oder einem intransparenten Pay-Gap. Daher tragen Organisationen und alle Mitarbeiter:innen die Verantwortung, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich jede Person sicher fühlt und ihr authentisches Selbst sein darf.
Wichtig ist, anzuerkennen, dass alle Organisationen diskriminierende Strukturen aufzeigen. Dies gilt für innovative und hippe Start-Ups ebenso wie für traditionelle Mittelständler oder internationale Corporates. Das bedeutet jedoch nicht per se, dass eine Organisation “schlecht” oder “ungerecht” ist. Entscheidend ist, dass Unternehmen bereit für den internen Dialog sind, real-diskriminierendes Verhalten im eigenen Unternehmen anerkennen und sich für kulturelle und strukturelle Veränderungen einsetzen.
Eine neurowissenschaftliche Perspektive
Die Idee kognitiver “Voreingenommenheiten” oder “Verzerrungen” (Engl. Biases) ist heute nicht mehr bloß ein Thema für wissenschaftliche Fachdiskurse. Biases werden seit einigen Jahren vermehrt in der breiten Gesellschaft und sozialen Medien diskutiert. Auch die Zahl der kognitiven Verzerrungen steigt permanent an, mit einer hilfreichen Übersicht der momentan knapp 200 identifizierten Biases in dieser Grafik. Entscheidend ist, dass viele dieser Voreingenommenheiten die Ursache für diskriminierende Wahrnehmungs-, Denk-, und Verhaltensstrukturen bilden.
Unsere kognitiven Verzerrungen können wir (leider) nicht einfach “ausschalten”. Vielmehr haben Biases einen evolutionären Sinn, denn sie sollen uns darin unterstützen, zu überleben: Indem wir innerhalb von Sekundenschnelle und mit möglichst geringem Energieaufwand zwischen Bedrohung von Sicherheit unterscheiden können, und hierbei zusätzlich unsere “In-Group” beschützen.
Jedoch ist das menschliche Gehirn, vor allem unser emotionsverarbeitendes Limbisches System, keine neutrale Rechenmaschine, sondern ein individualisierter und durch die persönliche Biographie und Kultur geprägter Organismus. Im Prinzip “sucht” unser Gehirn im äußeren (sozialen) sowie inneren (psycho-emotionalen) Erleben nach der Bestätigung bestehender - häufig unbewusster - Muster und Überzeugungen. Anders formuliert, “verzerren” wir die Welt so, dass sie unserer bestehenden Perspektive passt, bzw. diese bestätigt. Dinge neu zu betragen und die eigene Wahrnehmung und Haltung in Frage zu stellen, erfordert nicht nur Mut, sondern auch, im klassisch-physikalischen Sinne, Energie.
Bewusstsein schaffen durch Achtsamkeit
"Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit."
Dieses bekannte Zitat des Psychotherapeuten und Holocaust-Überlebenden Viktor Frankl zeigt so wundervoll auf, wie essentiell eine erhöhte Selbstwahrnehmung für Veränderungsprozesse ist. Frankls Zitat beschreibt, dass eine achtsame Selbstwahrnehmung die Grundlage für eine sensiblere und inklusivere Haltung und Denkweise bildet. Wenn wir unsere Selbstwahrnehmung steigern, können wir einfacher unsere persönlichen Perspektiven sowie unbewusste, emotionale und kognitive Verzerrungen erkennen. Daher ist es wichtig, unsere Selbstwahrnehmung und Reflexionsfähigkeit durch das Erlernen von Achtsamkeit zu stärken, um innerhalb von Unternehmen eine Kultur von Chancengleichheit und Inklusion zu fördern.
Spannend ist nun die Zusammenführung von DEI und Achtsamkeit. Ein achtsamkeitsbasiertes DEI-Training unterstützt uns genau darin, diese grundlegenden Fähigkeiten zur Selbst- und Fremdwahrnehmung zu kultivieren. Wenn wir uns selbst besser führen und empathisch zusammenarbeiten, können wir darauf aufbauend die Organisationskultur bewusst mitgestalten.
Auch wenn die Forschungslage noch relativ gering ist, so zeigen einige Studien², dass bestimmte Formen von Achtsamkeits- und Meditationspraxis unsere Empathiefähigkeit sowie unseren Impuls für prosoziales Handeln fördern. Auch in unserem von Wevolve entwickelten achtwöchigen Mindful Leadership Programm konnten wir eine Steigerung - zumindest in der Selbsteinschätzung von Teilnehmer:innen - für den Bereich Mitgefühl gegenüber sich selbst und Kolleg:innen sichtbar machen.
Kritische Fragen für mehr DEI-Awareness in deinem Unternehmen
Im ersten Schritt geht es darum, anzuerkennen, dass jedes Unternehmen an einem eigenen Punkt in seiner Entwicklung steht.
Wenn du in deinem Team eine Initiative starten oder ein Angebot möglichst inklusiv und nachhaltig gestalten möchtest, können dich folgende Fragen unterstützen:
Haben wir eine Angst, das Thema intern anzugehen?
Gibt es ein aufrichtiges Commitment von der Geschäftsführung für das Thema?
Welche realen diskriminierenden Verhaltensweisen gibt es bei uns im Unternehmen?
Wo/Wie werden DEI-Fragen bereits in unserem Unternehmen diskutiert und wie effektiv sind bestehende Initiativen oder Prozesse?
Wie ist das Verhältnis von unseren Unternehmenswerten und dem Thema DEI?
Gibt es bereits eine formulierte und kommunizierte Klarheit, welche Verhaltensweisen wir nicht im Unternehmen tolerieren?
Wie viel Zeit und finanzielle Ressourcen stehen uns zur Verfügung?
Haben wir die interne Expertise und Ressource, um Weiterbildungen durchzuführen oder können externe Trainer:innen und Berater:innen sicherstellen, dass wir dieses sensible Thema neutral und anonym angehen?
Abschließend ist es wichtig zu betonen, dass die kulturelle Reise Geduld, Mitgefühl und eine klare Ausrichtung erfordert. Standardisierte und kurze Formate können hierbei entscheidende Impulse für Veränderung und mehr DEI-Bewusstsein liefern: zum einen lernen Teilnehmer:innen eigene kognitive Verzerrungen in ihrem Arbeitsalltag konkret zu beobachten; zum anderen entstehen Räume für einen authentischen Austausch mit Kolleg:innen um sich tiefer kennenzulernen. Ebenfalls entscheidend ist, dass Menschen mit Diskriminierungserfahrungen idealerweise von Beginn an eingebunden und Trainings von Personen aus marginalisierten Gruppen durchgeführt oder zumindest begleitet werden. Ihre Perspektiven und das Teilen der persönlichen Erfahrung ist für das Unternehmen im Transformationsprozess eine wertvolle Ressource.
Über den Gastautor: Dr. Nico Rönpagel
Als Experte für Bewusstsein und Achtsame Selbstführung fasziniert Nico die Verflechtung von persönlicher und kollektiver Evolution. Hierbei verbindet er sein wissenschaftliches Verständnis von Achtsamkeit mit seiner persönlichen 20-jährigen Meditations- und Yogapraxis. Als Co-Founder von Wevolve, einer Beratung für Führung und Kulturwandel, unterstützt er Unternehmen, Teams und Individuen darin, neue Formen menschlicher Zusammenarbeit zu leben.
Quellen
¹(1A)Cordelia, F., Sojo, V., & Lawford-Smith, H. (2019). Why Does Workplace Gender Diversity Matter? Justice, Organizational Benefits, and Policy. Social Issues and Policy Review, 14(1). https://doi.org/10.1111/sipr.12064
(1B)Wang, J., [Cheng](https://onlinelibrary.wiley.com/authored-by/Cheng/Grand+H.‐L.), G. H. L., Chen, T., & Leung, K. (2019). Team creativity/innovation in culturally diverse teams: A meta-analysis*. Journal of Organizational Behavior, 40*(6). https://doi.org/10.1002/job.2362
(1C) Bui, H., Chau, V.S., Degl'Innocenti, M., Leone, L. and Vicentini, F. (2019), The Resilient Organisation: A Meta-Analysis of the Effect of Communication on Team Diversity and Team Performance. Applied Psychology, 68(4). https://doi.org/10.1111/apps.12203
²(2A) Hu, Z., Wen, Y., Wang, Y., et al. (2022). Effectiveness of mindfulness-based interventions on empathy: A meta-analysis. Frontiers in Psychology, 13. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2022.992575
(2B) Berry, D. R., Hoerr, J. P., Cesko, S., et al. (2020). Does Mindfulness Training Without Explicit Ethics-Based Instruction Promote Prosocial Behaviors? A Meta-Analysis. Personality and Social Psychology Bulletin, 46(8). https://doi.org/10.1177/0146167219900418
(2C) Malin, Y., & Gumpel, T.P. (2022). Short Mindfulness Meditation Increases Help-Giving Intention Towards a Stranger in Distress. Mindfulness 13. https://doi.org/10.1007/s12671-022-01963-y
Header-Foto: WeVolve
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