Karriere um jeden Preis? Nicht ohne meine Bedürfnisse
Karriere machen – Ein Traum, den Elvira Häusler zielstrebig verfolgte. Bis sie die wichtigste Frage nicht mehr ignorieren konnte: Wie geht es mir wirklich?
Gastbeitrag von Elvira Häusler, Co-Founderin von The Yoga Affair
Beruflicher Erfolg um jeden Preis
Direkt nach dem Studium habe ich bei einer der „Big Four“ in London zu arbeiten begonnen. Ich fand das damals ziemlich cool. Ich wollte Karriere machen. Ganz groß hinaus. Um jeden Preis. Was das genau bedeutete, hatte ich mir im Detail nie überlegt. Vielmehr wurde es mir vorgelebt bzw. ließ ich mir diesen Weg von außen auferlegen: „Du hast studiert, mach etwas daraus!“ Im Londoner Office herrschten raue Sitten und ich musste mir eine dicke Haut zulegen. Ich lernte, mich abzugrenzen und nicht alles persönlich zu nehmen. Ich habe Dinge gesehen und Situationen erlebt, die ich bisher nur aus Erzählungen kannte und für Übertreibungen hielt. Dann stand ich hilflos daneben, als zwei Arbeitskollegen fast zeitgleich in ein Burn-Out schlitterten und über Monate abwesend waren. Niemand wusste genau, wie es ihnen ging. Es wurde nicht thematisiert. Dann kam es noch schlimmer: Sprüche wie „Ja, der war eben nicht sehr stressresistent.“ oder „Der ist wohl nicht für dieses Business gemacht“ machten die Runde im Büro. Einer von den beiden kam übrigens nicht mehr aus dem Langzeit-Krankenstand zurück.
In den seltenen ruhigen Momenten, die ich hatte, drängte sich immer öfter diese eine Frage auf: Will ich das alles wirklich?
Leider können wir auf der Uni nicht den „Wie man sich nicht unterkriegen lässt“–Kurs belegen. Den gibt es nämlich nicht. Während wir fachlich alle top ausgebildet sind, verpassen es die Bildungssysteme uns auch fit zu machen für genau diese Situationen oder vielmehr mit dem Vermeiden dieser Situationen. Jeder einzelne von uns hat eine andere Wahrnehmung, was „zu viel“ bedeutet. Aber keiner gibt das gerne zu. Wir messen und vergleichen uns. Wenn der das aushält, schaffe ich das auch. Das führt uns in den Teufelskreis, dass wir immer mehr arbeiten, noch weniger schlafen, Urlaube verschieben (es soll Leute geben, die haben mehrere Wochen Urlaub aus den Vorjahren übrig!) und funktionieren einfach. Aber wozu? Und was setzen wir damit auf´s Spiel? Auch ich musste erst auf dem harten Weg lernen, wo meine Grenzen bezüglich Druck, Belastbarkeit und Stress liegen. Damit war es aber nicht getan. Nachdem mir diese Limits aufgezeigt worden sind, begann die eigentliche Aufgabe: Die Entwicklung meiner persönlichen Strategien, wie ich mit meinen Grenzen umgehe und wie ich es vermeiden kann, sie regelmäßig zu überschreiten. Heute bin ich heilfroh, all das sehr früh gelernt zu haben, ohne dass es gesundheitliche Konsequenzen für mich hatte. Ich gehe aber mit der Bewusstheit durch meinen Arbeitsalltag, dass es Grenzen gibt und dass ich diese respektieren muss, wenn ich weiterhin gesund bleiben und funktionieren will.
Erfüllung der Grundbedürfnisse
Zunächst handelt es sich bei einem Job in erster Linie um das Mittel zum Zweck. Wir arbeiten, damit wir unsere Rechnungen bezahlen, Schulden tilgen und schließlich auch sparen können, für Zeiten in denen es nicht so gut läuft. Ich nenne das die Erfüllung der Grundbedürfnisse. Aber spätestens ab dem Moment, wo diese erfüllt sind, wünschen sich viele von uns mehr. Wir verbringen so den Großteil unserer Zeit am Arbeitsplatz, da macht es schon Sinn, wenn neben diesen Grundbedürfnissen auch noch eine Reihe anderer Kriterien erfüllt sind.
Mein Job in London war zwar sehr gut bezahlt und ich leistete mir tolle Kleider und wunderschöne Urlaubsreisen in exotische Länder. Gleichzeitig bedeutete er aber auch, persönliche Bedürfnisse oft hinten anzustellen, immer auf Abruf verfügbar zu sein und öfter an Wochenenden zu arbeiten. Mir fehlte etwas, obwohl ich auf den ersten Blick alles hatte, was ich mir damals während dem Studium ausgemalt hatte. Doch diese eine Komponente allein schien nicht auszureichen. Ich wünschte mir ein Leben, in dem beides – erfolgreich im Job und ein ausgefülltes Privatleben – Platz haben darf. Aber geht das überhaupt? Ist es wirklich der Erfolg, der uns ein glücklich macht? Oder sind wir erfolgreich, gerade weil wir glücklich und erfüllt sind und sich das auf alle Aspekte im Leben auswirkt?
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Rückblickend erscheint es mir fast wie ein Wunder, dass ich durch einen Zufall in die Londoner Yogawelt stolperte und hängen geblieben bin. Eine unsichtbare Kraft hat mich immer wieder aufs Neue angezogen und motiviert, mehr über Meditation, Achtsamkeit und Asanas zu lernen. Ich bin unbewusst meiner inneren Stimme gefolgt, die nach etwa einem Jahr im Consulting-Hamsterrad immer lauter wurde. Sie verlangte nach Pausen, Innehalten und Selbstreflektion. Meine weltoffene Chefin hat mir damals ermöglicht, einen Monat Auszeit zu nehmen. Ohne PC, ohne Handy und mit viel Zeit wurde mir schlagartig klar, dass ich meinen Job und die damit verbundenen Aufgaben wirklich toll finde, aber dass ich nicht bereit bin, ständig meine persönlichen Bedürfnisse hinten anzustellen. Diese Bedürfnisse waren da und sie wollten Beachtung finden.
Ich habe begonnen, mich ganz bewusst mit der Frage auseinandersetzen, wie mein (Arbeits-)Alltag aussehen soll, damit ich zufriedener bin und mein persönliches Glück finden kann. Das war keine einfache Fragestellung, weil sie nicht in mein traditionelles Gedankenkonstrukt bezüglich Karriere und beruflicher Laufbahn passte. Meine Wünsche konnte ich aber ganz klar in Worte fassen: (1) Ich wollte mehr Zeit für Interessen außerhalb meines Jobs haben und (2) ich wollte bessere Ergebnisse in meiner Arbeitszeit liefern, ohne mich konstant gestresst zu fühlen.
Während einer weiteren Auszeit im darauffolgenden Jahr, machte ich über vier Wochen die Yogalehrerausbildung. Nach meiner Rückkehr aus Indien reduzierte ich meine Arbeitszeit auf 80%, um meinem ersten Wunsch nachzukommen. Ich spürte ganz deutlich, dass mich neben meinem Job noch weitere Dinge mit sehr viel Freude erfüllten. Paradoxerweise verbringe ich weniger Zeit am Arbeitsplatz, habe aber das Gefühl, in den vier Tagen mehr zu leisten. Die neue Freiheit hat mich aufblühen lassen. Ich habe Platz für den Blog und das Unterrichten von Yoga Klassen, aber vor allem mehr Zeit für meine zwischenmenschlichen Beziehungen. Die gemeinsamen Erlebnisse mit den Menschen, die mir wichtig sind, die ich ein Leben lang als Erinnerung in meinem Herz trage, lassen sich mit keinem Gehalt aufwiegen. Diese Zeit ist mein persönliches Glückskonto, in das ich regelmäßig einbezahle. Es lässt mich belastbarer werden und gleichzeitig zufriedener und kreativer im Job sein.
Weil mein Umfeld durch meine Yogaausbildung neugierig geworden ist, habe ich begonnen, im Unternehmen kostenlose Pop-Up Yogastunden anzubieten. Zeitgleich rief ein Arbeitskollege einen Achtsamkeitskreis ins Leben, der sich regelmäßig trifft (auch per Skype Konferenz) und sich konstant vergrößert. Diese Aktivitäten sprachen sich bis in die Geschäftsleitung herum und unsere Anliegen wurden ernst genommen. Beide Initiativen wurden formal in die Strategie für Mitarbeitergesundheit aufgenommen und weiterverfolgt. Eine Erinnerungsmeldung, die täglich um 15.10 Uhr auf meinem Handy aufpoppt, hilft mir dabei, 10 Minuten im Büro zu meditieren. Diese Praxis löst nicht alle meine Probleme und lässt auch die Arbeit nicht weniger werden. Aber sie hilft mir, Gelassenheit und Zuversicht zu kultivieren, diesen Aufgaben gewachsen zu sein.
Keine Ausreden mehr
Immer mehr Unternehmen entdecken die Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeiter als wichtiges Thema. Führende Konzerne wie Apple oder Google machen es schon lange vor und immer mehr Studien liefern evidenz-basierte Daten: Instrumente wie Meditation machen uns resistenter, helfen Stress abzubauen und lassen uns folglich wieder kreativer denken. Es ist nichts dabei, eine Pause zu machen. Man muss sich nur trauen, die Zeit zu nehmen. Ich vergleiche das immer gerne mit den Rauchern. Keiner meckert, wenn ein Raucher öfter am Tag das Gebäude verlässt. Mal abgesehen von dem gesundheitlichen Risiko, dem sich diese Person aussetzt, macht sie eine Pause. Soziale Kontakte werden geknüpft, ein physischer Ortswechsel stimuliert neue Gedanken und der Abstand zum eigentlichen Arbeitsplatz ermöglicht eine kurze Entspannung. Es ist nicht mein Anspruch, mein Teilzeit Konzept als die ultimative Lösung zu verkaufen. Das ist nur meine Geschichte. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Einbindung von Achtsamkeitsinstrumenten in unseren Arbeitsalltag und das regelmäßige Üben, positive Effekte hat. Jeder einzelne von uns findet 10-15 Minuten am Tag für eine kleine Meditation oder einfach nur zu sitzen, inne zu halten und die Stille zu genießen.
Über die Autorin: Vor zwei Jahren habe ich zusammen mit Valerie Junger den Yoga und Lifestyle Blog The Yoga Affair ins Leben gerufen. Dort erzählen wir frei von der Seele, was uns bewegt, welche Produkte wir toll finden und wo wir am liebsten unseren Yogaurlaub verbringen. Meine Berufung und mein Beruf liegen – eng verbunden mit Yoga – im Gesundheitswesen. Seit vielen Jahren bin ich beratend auf strategischer Ebene in diesem Fachgebiet tätig. Als Yogalehrerin und Frohnatur versuche ich täglich den Spagat zwischen Arbeit und Leben zu bewältigen. Mein großes Interesse gilt der Ausgeglichenheit zwischen Erfolg im Job und Zeit für mich und meine Liebsten. Das übe ich Tag für Tag. Meditation und Achtsamkeit sind ein essentielles Instrument dafür geworden.
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