Science Snack: Progressive Muskelentspannung

Entspannungstechniken ebnen Pfade für langfristige Erholung. Worauf Progressive Muskelentspannung fußt und wie du sie mit 7Mind in 8 Wochen erlernen kannst.

von Heike Reuber

Progressive Muskelentspannung

Entspann dich!”

Jobstress, Familienkonflikte, Klimakrise: Es gibt viele Gründe, gestresst zu sein. 2021 hat die Techniker Krankenkasse 1.000 Menschen bevölkerungsrepräsentativ zu ihrem Stresslevel befragt (1). Die Ergebnisse zeigen: Ungefähr zwei von drei Menschen (64 %) in Deutschland geben an, sich mindestens manchmal gestresst zu fühlen. Gut ein Viertel (26 %) fühlt sich häufig gestresst. Der Aufruf der Studie lautet “Entspann dich, Deutschland!”. Wie kann das gelingen und welche Rollen spielen Entspannungstechniken da?

Zwei Schritte zum Stress

Der Alltag steckt voller potenzieller Stressauslöser. Das sind innere oder äußere Reize, die zu einer Stressreaktion führen: sogenannte Stressoren. Während jemand gestresst auf einen bevorstehenden Vortrag reagiert, ist für wen anderes die lange Heimfahrt im überfüllten Bus stressig.

Stress ist individuell. Das heißt: Es hängt stark von der eigenen Bewertung ab, wie wir bestimmte Situationen erleben. Die Bewertung setzt sich aus vielen Puzzle-Teilen zusammen. Das können zum Beispiel Erfahrungen, Überzeugungen oder eine aktuelle Gefühlslage sein. Am Ende stresst häufig nicht die Situation an sich, sondern was sie gedanklich und emotional in uns bewirkt.

Wie genau läuft das ab? Der amerikanische Psychologe Richard Lazarus entwarf dazu ein etabliertes Modell: das Transaktionale Stressmodell (2). Im ersten Schritt bewerten wir eine potentielle Stresssituation. Ein bevorstehender Vortrag ist für manche aufreibend. Andere sind ganz locker damit. Nach einer ersten Bewertung der Lage schauen wir im zweiten Schritt auf unsere Möglichkeiten, den Herausforderungen in der Situation zu begegnen. Wenn wir unserer Einschätzung zufolge nicht genug Ressourcen für eine herausfordernde Situation mitbringen, entsteht Stress. Die beiden Schritte passieren fast zeitgleich und quasi automatisiert. Dass Stress entsteht, ist ganz normal und muss nicht zwingend zu Problemen führen. In akuten Situationen kann Stress und damit die kurzfristig erhöhte Energie hilfreich sein. Zum Beispiel, wenn wir uns während einer herausfordernden Prüfung maximal konzentrieren können. Entscheidend ist, wie wir die Situation bewältigen und dass sich Körper und Geist im Anschluss vollständig regenerieren können.

Entspannung trainieren?

Was Entspannung und Erholung spendet, kann — genau wie Stressoren — sehr unterschiedlich sein. In der Stressstudie nannten die Teilnehmenden diese Entspannungsquellen am häufigsten: Hobbys (80 %), spazieren gehen oder Gartenarbeit (77 %), gemütlich faulenzen (71 %), Musik machen oder hören (69 %) und Treffen mit Freund:innen und Familie (68 %) (1). Dabei spielt die individuelle Realität eine große Rolle: Vor dem Hintergrund der Covid-Pandemie rutschten soziale Zusammenkünfte im Vergleich zu früheren Umfragen auf einen niedrigeren Rang.

Die Studie zeigt: Alltägliches kann uns entspannen. Allerdings fällt es in stressigen Zeiten womöglich schwer, beim Hobby oder in Gesellschaft von Freund:innen im gegenwärtigen Moment zu sein und die Erholung auszukosten. Manchmal verhaften wir trotz der entspannendsten Bedingungen in Gedankenkreisen und Sorgenschleifen über die Zukunft. Dann ist es hilfreich, auf erlernte Entspannungstechniken zurückzugreifen. Entspannungstechniken sind effektive, eingeübte Pfade zu Ruhe und Erholung.

Die Wissenschaft liefert deutliche Hinweise: Wir können von diesen Pfaden profitieren. 2021 untersuchte eine Forschungsgruppe die Wirkung von verschiedenen Entspannungstechniken bei Studierenden: Progressive Muskelentspannung (PME), tiefes Atmen und geführte Imaginationen (3). Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe zeigte sich ein statistisch signifikanter Anstieg der physiologischen und psychologischen Entspannung bei allen Techniken. Generell gibt es vor allem für PME viele Forschungsbelege über eine zuverlässige, entspannungsfördernde Wirkung (z.B. 4, 5, 6). Auch unter starker Belastung: 2022 fand ein Forschungsteam in einer Meta-Analyse mit über 1300 Brustkrebs-Patient:innen heraus, dass PME die Lebensqualität steigern sowie Depression und Ängstlichkeit reduzieren kann (7).

Aktive Erholung: Progressive Muskelentspannung

PME ist eine populäre Entspannungstechnik, die auf der psychosomatischen Medizin beruht. Die Psychosomatik setzt sich mit dem Wechselspiel zwischen körperlichen und mentalen Prozessen auseinander. Also: Wie beeinflusst der Körper die Psyche und wie die Psyche den Körper?

Das Grundprinzip der PME beruht darauf, dass wir sensibler werden, für unsere körperlichen An- und Entspannungszustände. “Progressiv” bedeutet, dass wir eine Reise durch den Körper machen und alle Muskeln Schritt für Schritt entspannen. Im Gegensatz zu anderen Techniken entspannen wir, indem wir aktiv etwas dafür tun: Zunächst spannen wir Muskeln an, um sie anschließend bewusst zu entspannen. Den Übergang von Anspannung zu Entspannung nehmen wir intensiv wahr.

Wenn wir die Aufmerksamkeit für innere Vorgänge stärken, können wir uns auch bewusster verhalten. Vielleicht fällt dir manchmal auf, dass du über längere Zeit mit hochgezogenen Schultern, zusammengekniffenen Augen oder aufeinander gepressten Lippen durch den Tag gegangen bist. Körperliche Anspannungen dieser Art treten häufig stressbedingt auf. Aus der Psychologie wissen wir, dass angespannte Körperhaltungen wiederum Signale an deine Gedanken- und Gefühlswelt senden und damit innere Anspannungen verstärken können. Körper und Psyche beeinflussen sich wechselseitig. Demnach lautet die Grundannahme der PME: Wenn sich der Körper entspannt, entspannt sich auch die Psyche.

Nachhaltig entspannt mit PME-Präventionskurs

PME kann dir vorbeugend und langfristig helfen, deine Balance zwischen An- und Entspannung zu finden und aufrecht zu erhalten. Sie kann auch in akuten Stresssituationen angewandt werden, um mehr Ruhe zu finden. Wenn du dich beispielsweise in einem anstrengenden Meeting verspannst, kann es entlastend sein, eine Muskelpartie verstärkt anzuspannen und sie beim nächsten Ausatmen zu entspannen. In solchen Situationen erntest du über kurze Pfade die Früchte, die du mit einer regelmäßigen PME-Übung sähst. Wenn du deine Anspannung in einer bestimmten Situation regulieren möchtest, können dir dein sensibler Zugang zu deinen Muskeln und die trainierte Entspannungsreaktion helfen.

Im Onlinekurs: Progressive Muskelentspannung erlernst du verschiedene, praktische Übungen der Entspannungstechnik. Zu Beginn werden 16 Muskeln einzeln angespannt und entspannt. Diese werden im Verlauf der 8 Module zu 4 größeren Muskelgruppen zusammengefasst. Außerdem üben wir im Liegen, Sitzen und Stehen.

Mit der muskulären Entspannung konditionieren wir die Ausatmung und ein individuell gewähltes Wort, das sogenannte Entspannungssignal. Langfristig können Ausatmung und Entspannungssignal die PME-Wirkung vertiefen und sogar allein einen entspannenden Effekt haben. In der Regel steigt im Laufe des Kurses die Effektivität der Entspannung. Auch der Transfer in den Alltag wird erleichtert. Dabei bildet eine möglichst tägliche Praxis das Fundament. Wöchentliche Intentionen, ein Übungstagebuch und Motivationstipps unterstützen dich dabei.

Achtsamkeit und PME

Im Rahmen des Kurses entdeckst du die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche. Der Entdeckungsgeist ist eine bedeutsame Facette der Achtsamkeit. PME und Achtsamkeit sind miteinander verwandt. Schließlich kannst du deinen Körper immer nur im Hier und Jetzt wahrnehmen. Deine Aufmerksamkeit ist also auf die Gegenwart gerichtet: ein Kernspekt von Achtsamkeit. Über diesen Mechanismus unterstützt dich andersherum deine Achtsamkeitspraxis während PME.

Zur PME-Übung benötigst du kaum etwas: einen ruhigen Ort, die Fähigkeit zum An- und Entspannen der Muskeln und etwas Zeit. Damit ist PME für viele geeignet, sehr niedrigschwellig und bedarf keiner Vorerfahrung mit Achtsamkeit. Sie ist praxisorientiert und damit sicherlich für alle geeignet, die gern etwas Aktives tun und ihren Körper einbeziehen, um Ruhe zu finden.

Im Kurs erforschst du individuelle Erholungsquellen für deine langfristige Gesundheit. Deine gesetzliche Krankenkasse unterstützt dich und und erstattet dir bis zu 100 % der Kosten für den zertifizierten Kurs. Darüber hinaus kannst du deine achtsame Haltung in der 7Mind App mit über 1.000 Meditationen und Wissenskursen kultivieren. Kraft tanken, Erholung finden und Regenerieren — los geht’s.


Quellen:

(1) Techniker Krankenkasse. TK-Stressstudie 2016. Entspann Dich, Deutschland.; 2016. Accessed October 12, 2022. https://www.tk.de/resource/blob/2116464/9ff316aaf08870ed54aa8a664502ac67/2021-stressstudie-data.pdf

(2) Lazarus RS, Folkman S. Stress, Appraisal, and Coping. Springer; 1984.

(3) Toussaint L, Nguyen QA, Roettger C, et al. Effectiveness of Progressive Muscle Relaxation, Deep Breathing, and Guided Imagery in Promoting Psychological and Physiological States of Relaxation. Taylor-Piliae R, ed. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine. 2021;2021:1-8. doi:10.1155/2021/5924040

(4) Corbett C, Egan J, Pilch M. A randomised comparison of two “Stress Control” programmes: Progressive Muscle Relaxation versus Mindfulness Body Scan. Mental Health & Prevention. 2019;15:200163. doi:10.1016/j.mph.2019.200163

(5) Korkut S, Ülker T, Çidem A, Şahin S. The effect of progressive muscle relaxation and nature sounds on blood pressure measurement skills, anxiety levels, and vital signs in nursing students. Perspectives in Psychiatric Care. Published online February 26, 2021. doi:10.1111/ppc.12749

(6) Asghari Jafarabadi M, Karimi L, Rahimi Bashar F, Vahedian Azimi A. Effect of Progressive Muscle Relaxation on the Quality of Life of Patients Involved in Pathologic and Physiologic Events: A Systematic Review and Meta-Analysis Study. Iranian Journal of Epidemiology. 2020;15(4):372-386. Accessed October 12, 2022. https://irje.tums.ac.ir/browse.php?a_id=6428&sid=1&slc_lang=en

(7) Fang J, Yu C, Liu J, et al. A systematic review and meta-analysis of the effects of muscle relaxation training vs. conventional nursing on the depression, anxiety and life quality of patients with breast cancer. Translational Cancer Research. 2022;11(3):548-558. doi:10.21037/tcr-22-428

Folgende Quellen liegen dem Inhalt zugrunde:

Bernstein DA, Borkovec TD. Progressive Relaxation Training: A Manual for the Helping Professions. ERIC. Published online 1973. https://eric.ed.gov/?id=ED117637

Jacobson E. Entspannung als Therapie: Progressive Relaxation in Theorie und Praxis. Pfeiffer; 1990.

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