Welcher Prokrastinations-Typ bist du?

Die Liste an aufgeschobenen Aufgaben wird immer länger? Erfahre, welche Ursachen hinter Prokrastination stecken und wieso es nicht immer schlecht sein muss.

von Eva Siem

Ich muss etwas gestehen: Seit über vier Jahren steht mein Fahrrad nun angeschlossen im Innenhof, weil ich den Schlüssel nicht mehr finden kann (dickes Sorry an die Nachbar:innen, dass ich den Stellplatz belege). Der Rankende Mauerwein klettert inzwischen den Rahmen hoch und kleidet mein Fahrrad in ein sattes Grün. Immerhin versteckt das Blätterdach, dass mein Fahrrad darunter immer rostiger wird (cool, danke). Ich bewege mich seitdem also ausschließlich mit Bus und Bahn fort, auch wenn ich manchmal doppelt so lange brauche wie mit dem Rad. Je länger ich es aufschiebe, desto unbequemer wird es…

Bild

Prokrastination lauert an jeder Ecke

Prokrastination, auch als Aufschieberitis bekannt, kennen wir vermutlich alle: Alltägliches wie unliebsame Aufgaben bei der Arbeit oder das Führen eines unangenehmen Gesprächs werden weit in die Ferne geschoben. Wiederkehrendes wie dreckiges Geschirr in der Spüle oder die jährliche Steuererklärung bleiben liegen. Langfristiges wie einen Sparplan aufzusetzen oder Routinen für die mentale Gesundheit zu etablieren – vielleicht lieber morgen. Allzu oft schieben wir die Dinge doch auf die lange Bank. 

Willkommen in meiner Welt! Ich habe mir vorgenommen, die Ursachen für Prokrastination genauer unter die Lupe zu nehmen und eine Strategie auszuprobieren, um Aufschieberitis zu reduzieren. Machst du mit?

Reduziere Aufschieberitis mit der 7Mind Meditation “Prokrastination”!

Jetzt anhören

Die zwei Prokrastinations-Typen

Es mag dich überraschen, aber: Aufschieben muss nicht per se schlecht sein. In der Psychologie wird nämlich zwischen zwei Prokrastinations-Typen unterschieden: aktiver und passiver Prokrastination [1].

Aktive Prokrastination

Aktiv Prokrastinierende schieben Aufgaben bewusst auf, weil sie hoffen, unter Zeitdruck ein besseres Ergebnis zu erzielen. Sie machen eine langweilige Aufgabe dadurch etwas herausfordernder und nutzen ihre Zeit bestenfalls effizienter. Forschende bringen diese Form von Prokrastination sogar mit dem produktiven Flow-Zustand in Verbindung, bei dem wir so hochkonzentriert sind, dass wir Zeit, Raum und mögliche Selbstzweifel für den Moment vergessen [2].

Passive Prokrastination

Allerdings solltest du diese Form des Aufschiebens trotzdem mit Vorsicht genießen. Denn mal Hand aufs Herz: Vermutlich bist du an dem Thema interessiert, weil du eher mit dem zweiten Prokrastinations-Typen vertraut bist – “passive Prokrastination”. Du malst dir vielleicht aus, was alles schief gehen könnte, zweifelst daran, ob du der Aufgabe wirklich gewachsen bist oder hast extrem hohe Ansprüche an dich selbst. Diese Ängste und andere Emotionen sind so unbequem, dass du die Aufgabe lieber vertagst, als dich ihnen zu stellen.

Kurz gesagt: Während es bei aktiver Prokrastination darum geht, die Situation zu verbessern, steckt bei passiver Prokrastination eher die Vermeidung unangenehmer Gefühle dahinter.

Passive Prokrastination kommt dir bekannt vor? Dann bleib dran. Denn wir schauen uns jetzt die möglichen Ursachen etwas genauer an.

Reduziere Aufschieberitis mit der 7Mind Meditation “Prokrastination”!

Jetzt anhören

Die Ursachen für Prokrastination

So kreativ die Ausreden sind, um die Aufgabe weiter hinauszuzögern, so unterschiedlich können die Gründe für Prokrastination sein. Wissenschaftler:innen haben die Entstehung von Prokrastination in einem Schaubild zusammengefasst [3]:

Bild

Persönlichkeit: Liegen die Ursachen für Prokrastination in der Kindheit?

Auch wenn viele als erstes an fehlende Motivation denken, können die Ursachen auch schon in der Kindheit wurzeln.

Prokrastination wird mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen in Verbindung gebracht, die oft schon früh entstehen und durch Erfahrungen in der Kindheit und Erziehung beeinflusst werden [4]. Zum Beispiel tendieren ängstliche oder auch leicht reizbare Menschen zu mehr Prokrastination. Ursachen sind Angst vor Fehlern, negativer Bewertung oder anderen unangenehmen Konsequenzen. Ein Misserfolg würde ganz schön am Selbstwert kratzen. 

Vielleicht geht es mir bei dem angeschlossenen Fahrrad gar nicht darum, dass die Bahnanbindung so fantastisch ist? Sondern um die Sorge, mich dafür rechtfertigen zu müssen, wie ich mit meinen Sachen umgehe? Vor dem Schlüsseldienst? Oder meinen Eltern, die mir damals das Fahrrad geschenkt haben? Wieso also nicht erstmal schauen, was noch so im Kühlschrank ist?

In anderen Momenten kickt vielleicht der Perfektionismus und alles soll im kleinsten Detail bestmöglich erledigt und durchdacht werden, sodass die wirklich wichtigen Dinge auf der Strecke bleiben. Hast du auch schon mal viel zu viel Zeit mit der Gestaltung einer Präsentation oder der Vorbereitung einer Aufgabe verbracht? Und die tatsächliche Umsetzung herausgezögert? Diese Situationen können besonders trickreich sein, weil man sich produktiv fühlt, ohne es wirklich zu sein.

Selbstregulation: Keine Ausdauer mehr?

Die Persönlichkeitsmerkmale manifestieren sich dem Schaubild zufolge dann in mangelnder Selbstregulationsfähigkeit, also der Fähigkeit, die eigenen Impulse, Gedanken oder Gefühle zu regulieren. Es fällt dadurch schwerer, sich konsequent einer Aufgabe zu widmen, Ablenkungen zu widerstehen und Prioritäten zu setzen. Das Zeitmanagement lässt zu wünschen übrig, die Gedanken schweifen ab oder… Hey, bei dem Wort Schweif fällt mir ein: Wie es wohl dem Pony meiner Cousine?

Okay, Fokus. Fehlende Selbstregulation kann besonders brenzlig werden, wenn Einflüsse hinzukommen, die von der bestimmten Situation abhängen. Sogenannte situative Faktoren erschweren das Anfangen noch weiter.  Situative Faktoren: Draußen scheint die Sonne? 

Ist die Aufgabe besonders langweilig oder komplex, fällt es noch schwieriger, sich zusammenzureißen, oder? Oder wenn draußen die Sonne scheint und die anderen an den See fahren? Kommen neben den Persönlichkeitsmerkmalen und fehlender Selbstregulation auch noch ungünstige situative Faktoren hinzu, wird Verschieben und Verdrängen noch verlockender.

Prokrastination verhindern in 4 Minuten

Egal, ob Perfektionismus, fehlende Selbstregulation oder erschwerende Situation: Mir hilft es, eine scheinbar große Aufgabe in kleinen Schritten anzugehen.

Ich halte mich dafür an die 4-Minuten-Regel: Ich verpflichte mich, für nur vier Minuten an der Aufgabe zu arbeiten. Es geht gar nicht darum, unglaublich viel in dieser kurzen Zeit zu erreichen. Es zählt nur das Anfangen. Vielleicht den nächsten Schlüsseldienst googlen, der mein Fahrradschloss aufknacken könnte. Die Nachbarin nach einem Bolzenschneider fragen. Oder erstmal den Rankenden Mauerwein zurückschneiden. 

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in den meisten Fällen eh länger dranbleibe als vier Minuten. Weitermachen fällt mir nämlich leichter als Anfangen. Wenn ich schon den Bolzenschneider in der Hand habe, kann ich damit auch runter in den Innenhof laufen. Ähnlich geht es mir beim Abwaschen: Ich ringe mich zu vier Minuten Teller spülen durch und komme dann automatisch in den Schwing, sodass danach oft auch der Herd und die Arbeitsfläche wieder sauber sind.

Die Fahrradgeschichte war am Ende eine Sache von zehn Minuten. ZEHN. Dafür, dass ich mich über vier Jahre davor gedrückt habe. Die nächste Herausforderung für mich ist nun, mein Rad, das Wind und Wetter ertragen musste, wieder fahrtüchtig zu machen…)

Also, wieso probierst du die 4-Minuten-Regel nicht auch direkt aus? Selbst, wenn du nach dem kurzen Zeitraum wieder aufhörst, hast du den ersten und damit schwierigsten Schritt geschafft!

Reduziere Aufschieberitis mit der 7Mind Meditation “Prokrastination”!

Jetzt anhören

Quellen:

[1] Chu & Choi (2005) Chu AHC, Choi JN. Rethinking procrastination: positive effects of active procrastination behavior on attitudes and performance. The Journal of Social Psychology. 2005;145:245–264. doi: 10.3200/SOCP.145.3.245-264.

[2] Kim E, Seo EH. The Relationship of Flow and Self-Regulated Learning to Active Procrastination. Social Behavior and Personality: an international journal. 2013;41(7):1099-1113. doi:https://doi.org/10.2224/sbp.2013.41.7.1099

[3] Gerholz, K.-H., & Klingsieck, K.B. (2013). Employability und Prokrastination aus einer hochschuldidaktischen Perspektive. Das Hochschulwesen, 61,122-128.

[4] Van Eerde, W. (2000). Procrastination: Self‐regulation in Initiating Aversive Goals. Applied Psychology, 49(3), 372–389. https://doi.org/10.1111/1464-0597.00021

Achtsamkeitsimpuls

Erhalte unsere neuesten Artikel, Achtsamkeitsimpulse und Angebote in unserem monatlichen Newsletter!

*Pflichtfelder

7Mind wirkt positiv. Erfahre mehr.