Wo finde ich meinen Platz im Leben? | Unser inneres Team
Wo ist mein Platz im Leben? In welche Richtung will ich gehen? Dieser Text liefert zwar keine Antworten, aber hilfreiche Gedanken auf dem Weg dorthin.
von Leonard Gabriel Heygster
Die Frage nach dem richtigen Platz im Leben beschäftigt wahrscheinlich alle Menschen. Nicht immer, aber immer wieder. Manchmal auch ein Leben lang. Die systemische Psychotherapeutin Antonia Speerforck hat dieser Frage ein ganzes Buch gewidmet. Es trägt den Untertitel: Den eigenen Platz finden, ohne danach zu suchen – das macht mich neugierig. Im humansarehappy Podcast erzählt sie mir, wie das gelingen kann.
Im Gespräch wird schnell klar: Den einen Platz zu finden, der das eigene Leben ausmacht, der Sinn vermittelt und Orientierung gibt, ist nicht nur mühsam; das ist vielleicht sogar überhaupt nicht möglich. Zum Glück muss es das aber auch nicht.
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Gleich anhörenDas innere Team
Antonia Speerforck geht einen anderen Weg. Als Orientierungshilfe zieht sie das Modell der inneren Anteile heran.
Die Idee der inneren Anteile stammt aus der systemischen Therapie, zum Beispiel aus dem Innere Familie System von Schwartz. Oft wird sie nach Schulz von Thun auch inneres Team genannt. Das Modell beschreibt verschiedene Persönlichkeitsaspekte oder "Innere Teammitglieder" eines Menschen. Die inneren Anteile repräsentieren verschiedene Bedürfnisse, Emotionen oder Überzeugungen. Wichtig dabei ist, dass diese individuell ausgeprägt sind und von jedem Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden. Im folgenden Beispiel wird das deutlich.
Wenn die inneren Anteile durcheinander schreien
Ich stand vor ein paar Tagen im Supermarkt und blickte auf ein Regal voller Schokoriegel.
Sofort meldete sich ein innerer Anteil zu Wort und wollte direkt zugreifen.
Ein zweiter Anteil erinnerte mich mahnend daran, dass ich mich gesünder ernähren wollte.
Direkt sprang diesem zweiten Anteil dann ein dritter Anteil bei. Er führte an, dass sich unabhängig von Gesundheit auch mein Portemonnaie darüber freue, Spontankäufe zu vermeiden.
Ein vierter Anteil meldete sich obendrein: Ihm waren Gesundheit oder Geld weniger wichtig. Aber wenn schon etwas Süßes, dann doch lieber mal etwas Neues wagen.
Dem wiederum entgegnete dann ein fünfter Anteil, dass mich doch meine Lieblings-Cookies noch nie enttäuscht hatten. Also warum nicht einfach die wählen?
Das mache die Entscheidungsfindung gleich viel effizienter und ich wollte ja nur schnell einkaufen gehen, pflichtet ein sechster, Effizienz liebender Anteil bei.
Ehe ich mich versah, war eine hitzige Argumentation zwischen verschiedenen inneren Anteilen entbrannt – dabei ging es doch “nur” um einen Schokoriegel. Bei großen Entscheidungen im Leben sind die Stimmen der inneren Anteile sogar manchmal noch viel lauter und komplexer.
Was ist passiert?
Entscheidend ist, dass hinter jedem Anteil ein oder mehrere Bedürfnisse stehen, erklärt Antonia Speerforck. Daher sei es wichtig, allen inneren Anteilen zuzuhören. Denn das bedeutet, den eigenen Bedürfnissen erst einmal Raum zu geben. Ob wir bestimmten Bedürfnissen dann nachkommen, ist dabei noch gar nicht wichtig. Allen Bedürfnissen nachzukommen ist meistens sowieso gar nicht möglich. Wir müssen uns also entscheiden.
Sich zu entscheiden heiße aber nicht, „dass alle Bedürfnisse zu jedem Zeitpunkt ein gut abgezirkeltes Stück vom Kuchen “Leben” abbekommen. So funktioniert das nicht.“, erklärt die Therapeutin im Podcast.
Das Bedürfnis hinter dem Anteil
Welches Bedürfnis stand wohl hinter dem Verlangen nach dem Schokoriegel?
Möglicherweise war es der Wunsch, einfach mal loszulassen. Oder das Bedürfnis nach Genuss. Aber was wollte der zweite, mahnende Anteil? Stand er für eine gesunde Ernährung ein, weil er gerne in einem gesunden Körper leben möchte? Oder verbarg sich hinter ihm der Wunsch nach Anerkennung im Außen, vermeintlich erreichbar durch eine schlanke Figur? Und welche Annahme stünde dann hinter dem Anteil, der Anerkennung im Außen durch vorgegebene Körperideale glaubt, erreichen zu können?
Ja, das ist komplex. Um diese Komplexität ein wenig besser zu verstehen, wirbt Antonia Speerforck für eine systemische Betrachtungsweise.
Wie alles in Beziehung steht
Sehen wir uns selbst als ein System, dann steht wiederum jeder Anteil in uns für ein Untersystem. All diese Anteile wirken aufeinander ein und damit auch darauf, wie wir uns in einer Welt verhalten. Die Welt ist wiederum selbst ein großes System mit unzähligen, aufeinander einwirkenden Systemen. Eine Antwort auf die Frage nach dem eigenen Platz im Leben zu finden, kann daher immer wieder viel Achtsamkeit und Zeit erfordern.
Ein Beispiel dafür ist dieser Text: Du als Leser*in, ich als Autor und die Plattform, auf der du diesen Text jetzt gerade liest – all das sind Systeme, die in diesem Moment miteinander in Beziehung stehen.
Ebenso wirkt die folgende Zeichenkombination aus Doppelpunkt, Bindestrich und schließender Klammer als ein System, bestehend aus drei Einzelsystemen (Satzzeichen) innerhalb des System-Textes jetzt auf dich ein: :-)
Innere Anteile als Wegweiser verstehen
Bei der Frage, wo (jetzt gerade oder in Zukunft) der eigene Platz im Leben ist, ist eine systemische Betrachtungsweise daher sehr hilfreich, erklärt Antonia Speerforck:
„Wo ist eigentlich jetzt gerade mein Platz? In welchen Systemen befinde ich mich? Wie wirken die Systeme in mir und wie wirke ich in ihnen? Welche Systeme und Anteile wirken aber gleichzeitig auch in mir?“
Hör doch mal in unseren Kurs "innere Balance" und lerne, dich wieder auszubalancieren:
Innere Mitte findenDie gute Nachricht
Wenn ich den eigenen Anteilen und damit in zweiter Instanz den eigenen Bedürfnissen zuhöre, also ihnen Raum gebe, dann nehme ich diese ein Stück weit mehr innerlich an. In anderen Worten: Dann nehme ich mich an.
Wie helfen die inneren Anteile aber jetzt weiter, den eigenen Platz im Leben zu finden?
Mir hilft dabei diese Perspektive:
Wenn innere Anteile für Bedürfnisse stehen und ich diese wahrnehme, dann habe ich dadurch nicht nur die Chance wahrzunehmen, wo ich hinwill, sondern auch, was jetzt gerade wichtig für mich ist: Wo bin ich jetzt gerade? In welchen Systemen befinde ich mich? Was sagen meine Bedürfnisse mir, wo ich vielleicht hinwill? Und – ganz wichtig – will da wirklich ich hin?
Oder denke ich es nur, weil ich oft genug gehört habe, dass irgendein bestimmtes Ziel so ganz toll sein soll – wie zum Beispiel ein schlanker Körper?
Vielleicht finden wir ihn so ein wenig besser, den eigenen Platz: Weniger durch suchen, sondern mehr durch zuhören und annehmen.
Leonard Gabriel Heygster beschäftigt sich mit der Entstehung von Wohlbefinden. Im humansarehappy Podcast spricht er alle zwei Wochen mit Menschen aus den Bereichen Wissenschaft oder Gesellschaft zu den Themen Wohlbefinden, Zufriedenheit und Glück.
Quellen:
Leonard Gabriel Heygster. Wo finde ich meinen Platz im Leben? - mit Antonia Speerforck. humansarehappy. Published October 10, 2023. Accessed October 30, 2023. https://www.humansarehappy.org/post/wo-ist-mein-platz-im-leben
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