Warum Wohlbefinden das wahre Glück ist

Was macht Glück, Zufriedenheit und Wohlbefinden jeweils aus wissenschaftlicher Sichtweise aus? Dieser Artikel liefert Antworten und Inspirationen, wie du für ein gelungenes Leben sorgen kannst.

von Gastautor Leonard Gabriel Heygster

Was treibt Menschen an?

Wir alle haben Anteile, die uns dem, was wir als Glück wahrnehmen, nachjagen lassen. Diese Motivation ist von der Natur so vorgesehen. Sie lässt uns morgens aufstehen, jagen und sammeln, oder zur Arbeit gehen und Geld verdienen. Und bei einem Orgasmus belohnt sie uns mit einem Hochgefühl. Logisch, ist Fortpflanzung doch ein Akt, der für das Fortbestehen einer Art unabdingbar ist.

Aber was macht ein glückliches Leben wirklich aus? Wie definiert sich Glück im psychologischen, soziologischen oder neurologischen Sinne? Aber noch wichtiger: Ist Glück wirklich die allumfassende Währung, die ein gelingendes Leben kennzeichnet? Die letzte Frage weist bereits auf ihre Antwort hin – es lohnt sich daher, genauer hinzuschauen.

Vom Glück zum Gelingen

Das Wort Glück stammt aus dem mittelhochdeutschen „Gelücke“ beziehungsweise aus dem mittelniederdeutschen „Gelucke“ ab. Das wiederum stammt von dem Wort „gelingen“ ab und bezieht sich auf das „Gelungene“, das „leicht Erreichte“. Die Frage nach dem Glück beinhaltet daher bereits in der Wortherkunft die Frage nach dem gelingenden Leben. Was aber macht ein gelingendes Leben aus? Hier hilft ein Blick in die Forschung.

Die Mischung macht’s: Subjektives und psychologisches Wohlbefinden

Im Grunde ist die Antwort simpel, denn wir Menschen haben alle dieselben Grundbedürfnisse. Die US-amerikanische Psychologin Carol Ryff hat in mehreren Studien sechs Grundbedürfnisse herausgearbeitet, die für die Entstehung vom sogenannten psychologischen Wohlbefinden wichtig sind. Hierbei handelt es sich um Selbstakzeptanz, Umweltbewältigung, persönliches Wachstum, positive Beziehungen, Sinnerleben und Autonomie. Es lassen sich also all unsere Wünsche, all unser Streben und all unser Verlangen auf diese Faktoren zurückführen.

Weil eben jene Grundbedürfnisse aber bei allen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind und unterschiedlich wahrgenommen werden, führt die schlichte Kategorisierung dieser schnell in eine Sackgasse. Es ist daher notwendig, neben dem psychologischen Wohlbefinden den Blick auch auf das subjektive Wohlbefinden zu richten. Dieses setzt sich aus den beiden Faktoren Glück und Zufriedenheit zusammen. Spätestens hier wird deutlich, dass die häufig so starke Fokussierung rein auf das Glück in Form von situativen Momentaufnahmen unzureichend ist, wenn es um die herkömmliche Bedeutung von Glück geht, wenn es um das gelingende Leben geht.

Glück – Affekt und Emotion

Starten wir aber mit dem Glück. Aus psychologischer Sichtweise ist Glück nichts weiter als ein Affekt, also ein emotionaler Ausschlag. Affekte haben per Definition die Eigenschaft, dass sie auf zwei Weisen wahrgenommen werden können: positiv oder negativ.

Ein Affekt ist als emotionaler Ausschlag die niedrigschwelligste Form, wie wir Gefühle wahrnehmen können. Eine Emotion hingegen ist die nächsthöhere Stufe: Ein Affekt, der mit einem Gedanken verbunden ist. Wenn uns etwas gänzlich kalt lässt, dann löst es keinen Affekt aus und somit keine Emotionen aus.

Ob ein Gedanke aber einen positiven oder einen negativen Affekt auslöst und damit zu einer positiven oder negativen Emotion wird, das liegt an uns selbst. Was aber nicht heißt, dass wir nur das „richtige Mindset“ bräuchten, um bloß noch positive Emotionen wahrzunehmen. Wir brauchen auch negative Emotionen, denn sie geben uns wertvolle Hinweise und dienen als Richtungsweiser. Entscheidend für die Frage, was in einem Menschen einen positiven oder negativen Affekt – also aus psychologischer Sichtweise Glück oder Unglück – auslöst, ist die Frage, was in seiner individuellen Sichtweise als werthaltig wahrgenommen wird.

Angenommen, jemand schaut sich ein Fußballspiel an und es fällt ein Tor. Dann wird dieses Ereignis in dem Fall einen positiven Affekt auslösen, wenn der Mensch die Mannschaft unterstützt, die das Tor geschossen hat. Andersherum würde ein Gegentor einen negativen Affekt auslösen. Immer unter der Voraussetzung, dass die fußballschauende Person sich auch für das Spiel interessiert und ihm eine Bedeutung beimisst. Wäre ihr Fußball total egal, würde selbst ein Tor im WM-Finale keinen Affekt auslösen. An dieser Stelle können wir zwei wichtige Dinge über das Glück lernen:

  1. Glück ist immer an einen Wert gebunden.

  2. Glück ist immer zeitlich begrenzt.

Selbst nach einem gewonnenen WM-Finale normalisiert sich der Glücksrausch nach einiger Zeit wieder. Wir werden also nicht monatelang jubelnd durch das Leben schreiten. Um das zu verstehen, hilft es, das Glück aus neurologischer Perspektive zu betrachten.

Glück ist eine Belohnungsantwort

Der Neurologe Dr. Burkhard Pleger erklärt das Glück im humansarehappy Podcast herrlich unromantisch: „Glück ist aus neurologischer Sichtweise nichts weiter als eine Belohnungsantwort im Gehirn – abhängig vom Eintreten eines als werthaltig erachteten Ereignisses.“ Merkmal einer solchen Belohnungsantwort ist die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe im Gehirn wie beispielsweise Serotonin oder Dopamin.

Die Botenstoffe docken im Gehirn dann an Rezeptoren an. Diesen Prozess nehmen wir schließlich als – neurologisch ausgedrückt – Belohnungsantwort oder eben als Glück wahr. Im Falle einer dauerhaft hohen Ausschüttung dieser Botenstoffe reduziert sich aber vereinfacht gesagt die Anzahl der Rezeptoren. So löst das fünfte Tor im gleichen Spiel in der Regel eine geringere Belohnungsantwort aus als das erste Tor.

Die Wechselwirkung von Zufriedenheit und Glück

Am Beispiel von Essen lässt sich der Ebenenwechsel von Glück und Zufriedenheit möglicherweise am einfachsten beschreiben: Angenommen, eine Person isst gerne Chips. Beim Eintreten eines als werthaltig erachteten Ereignisses – also beim Essen von Chips – würde im Gehirn eine Belohnungsantwort ausgelöst werden. Diese Belohnungsantwort wird jedoch mit fortlaufendem Chipskonsum abnehmen. Würde diese Person eine große Menge Chips auf einmal essen, ist es wahrscheinlich, dass die letzten Chips gar keine Belohnungsantwort mehr auslösen. Doch es geht noch weiter: Ein lang anhaltender Konsum an Chips könnte bei dieser Person Veränderungen in ihrem Körper verursachen, die sie als weniger werthaltig erachtet. Die körperlichen Veränderungen könnten sich dann auf weitere Bereiche des Lebens auswirken, wie zum Beispiel die körperliche Gesundheit oder das Sozialleben. Das könnte dann dazu führen, dass das, was ursprünglich eine Belohnungsantwort ausgelöst hat, also glücklich gemacht hat, die Person langfristig sogar unzufrieden macht. Der Begründer des Schulfaches Glück, Dr. Ernst Fritz-Schubert bringt es im humansarehappy Podcast auf den Punkt: „Gib Acht, dass das, was dir kurzfristig Lust verschafft, auch langfristig Zufriedenheit bringt.“

Zufriedenheit – die Königsdisziplin

Zufriedenheit ist die kognitive Gegenspielerin des Glücks. Sie wäre im Vergleich zum Torjubel das Resümee über ein gesamtes Spiel oder eine ganze Saison.

Ein Beispiel: Stell dir vor, du würdest auf einem Fragebogen verschiedene Bereiche deines Lebens auf einer Skala von eins bis zehn bewerten. In der Regel wirst du für die Beantwortung dieser Fragen anfangen, nachzudenken. Die Bewertung kommt dann also nicht mehr emotional, sondern rational zustande. Sie wird im Vergleich zu einem Affekt oder zu Glück weniger stark wahrgenommen. Und sie schwingt im Hintergrund mit, aber beeinflusst unsere Stimmung im Allgemeinen, ohne dass wir es zwingend merken. Das macht sie aber keineswegs weniger relevant. Dr. Burkhard Pleger beschreibt es so: „Zufriedenheit ist die eigentliche Königsdisziplin.“

Wie entsteht Wohlbefinden?

Wir haben also auf der einen Seite das psychologische Wohlbefinden mit seinen sechs Grundbedürfnissen und auf der anderen Seite das subjektive Wohlbefinden mit seinen beiden Komponenten Zufriedenheit und Glück.

Es es lohnt sich daher, den Begriff des Wohlbefindens genauer zu betrachten. Er leitet sich aus dem englischen Begriff well being ab. Das Verb to be bedeutet ins Deutsche übersetzt Sein. Wohlbefinden ist also eine Seinserfahrung, die uns auffordert uns, das eigene Befinden zu hinterfragen, so drückt es die 83 jährige Soziologin und Gesundheitswissenschaftlicherin Prof. Dr. Annelie Keil im humansarehappy Podcast aus. Und ob wir das, was wir dann be-finden, als Wohlbefinden oder ein Missbefinden wahrnehmen, hängt wiederum davon ab, was wir in unserer eigenen Wahrnehmung als werthaltig erachten.

Das brauchen wir für ein gelungenes Leben

Der Psychologe Peter Becker hat in den 1980er-Jahren Werke von bedeutenden Psychologen wie Freud, Maslow, Allport, Menninger oder Frankl verglichen und dabei eine interessante Überschneidungsfläche herausgearbeitet. Er sagt, um sich dauerhaft seelisch gesund zu fühlen, müsse ein Mensch zu drei Dingen in der Lage sein:

1. Selbstaktualisierung Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich regelmäßig selbst zu fragen, ob das eigene Handeln als werthaltig erachtet wird. Oder eben, was für einen selbst überhaupt werthaltig ist. Diese Fragen können dabei hilfreich sein:

  • Wie sieht mein Leben aktuell aus?

  • Welche Gefühle nehme ich dabei wahr?

  • Was möchte ich in meinem Leben gerne erleben?

  • Welche Werte vertrete ich?

Ein gutes Hilfsmittel dabei kann auch ein Wertetest sein.

2. Selbstregulierung Sich selbst zu regulieren bedeutet, nicht jedem Bedürfnis nachzurennen. Oder wie Dr. Ernst Fritz-Schubert es ausdrückt: „Gib Acht, dass das, was dir kurzfristig Lust verschafft, auch langfristig Zufriedenheit bringt.“ Diese Fragen können dabei hilfreich sein:

  • Welches eigentliche Bedürfnis steckt hinter meinem Verhalten oder meinen Impulsen?

  • Wenn ich zu einer bestimmten Sache Ja sage, wozu sage ich dann gleichzeitig Nein?

Hier kann es hilfreich sein, vor (impulsiven) Entscheidungen innezuhalten und in sich hineinzuspüren, wie sich der eigene Körper bei bestimmten Gedanken und Emotionen anfühlt. Das steigert gleichzeitig die Achtsamkeit für das eigene Befinden.

3. Sinnerleben Sinnerleben bedeutet in diesem Kontext ein zielgerichtetes Leben sowie die Überzeugung, dass das Handeln eine Bedeutung hat. Diese Fragen können dabei hilfreich sein:

  • Spüre ich bei dem Gedanken an einen Bereich meines Lebens einen inneren Widerspruch?

  • Spüre ich im Alltag bei bestimmten Handlungen einen inneren Widerspruch? (Das gilt vor allem für Handlungen, von denen wir glauben, dass sie uns langfristig nicht zufrieden machen)

  • Habe ich das Gefühl, nach meinen inneren Werten zu leben?

Vor allem die letzte Frage ist hier ein wichtiger Kompass. Denn wenn wir wissen, dass wir im Einklang mit unseren Werten handeln, dann nehmen wir oft Dinge, die im ersten Moment mit Unlust verbunden sind, als weniger störend wahr.

Peter Becker schenkt uns in seinen drei Schritten eine charmante Abkürzung. Wenn wir sie beherzigen, dann haben wir eine gute Chance, dass es gelingt, das Leben.


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Über den Gastautor: In seinem Projekt humansarehappy schafft Leonard Gabriel Heygster eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Entstehung von Wohlbefinden. Im humansarehappy Podcast spricht er alle zwei Wochen mit Vertreter:innen aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik über die Entstehung von Wohlbefinden, Zufriedenheit und Glück.

Seine wichtigsten Erkenntnisse zum Thema Wohlbefinden teilt Leonard Gabriel Heygster regelmäßig auch bei Instagram.

Im August 2022 hat er im 7Mind Podcast mit René Träder über die Entstehung von Wohlbefinden und Glück gesprochen.

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