Warum der Einstieg in die Achtsamkeitspraxis in der Natur viel leichter fällt

Aller Anfang ist bekanntermaßen schwer – auch der bei Meditation. Doch die Natur kann uns dabei helfen! Erfahre hier, wie dir eine Achtsamkeitspraxis im Freien den Einstieg erleichtert.

von Sandra Knümann

Als ich damals mit dem Meditieren begann, hatte ich mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie schon Generationen von Meditations-Anfänger:innen vor mir: 

Ich bereitete mich und meinen Raum schön vor, indem ich Türen und Fenster schloss, das Telefon ausschaltete und eine weiche Yogamatte unter mein Meditationskissen legte (damit es an den Knien und Knöcheln nicht so drückt). Bevor ich mich zur Meditation niederließ, machte ich noch ein paar Lockerungsübungen, damit ich anschließend entspannter sitzen konnte. 

Sobald ich es mir auf dem Meditationskissen bequem gemacht hatte, ging es aber los: Die Affenhorde im Kopf! Es schien, als hätten sich meine Gedanken miteinander abgesprochen, dass sie jetzt unbedingt alle gleichzeitig durch meine Gehirnwindungen turnen müssten. Sogar die, die bislang in einer dunklen Ecke gehockt und sich nur selten hatten blicken lassen.

Der Frust der Achtsamkeits-Anfänger:innen

Was darauf folgt, kennst du vermutlich: Unruhe, Ärger, Selbstvorwürfe, Zweifel, Unzufriedenheit mit der Achtsamkeitspraxis grundsätzlich, Knieschmerzen, Rückenverspannungen usw. Fast hätte ich das Projekt „Meditation“ wieder an den Nagel gehängt. „Ich schaffe das nicht“, sagen heute auch meine Ausbildungs-Teilnehmer:innen, wenn sie von ihren Versuchen auf dem Meditationskissen berichten.

Da ich aber vom Nutzen der Achtsamkeitspraxis überzeugt war, suchte ich nach anderen Wegen. Mir fiel ein, dass ich meine präsentesten Momente meistens in der Natur hatte. Wenn ich draußen durch Feld, Wald und Wiesen schlenderte, war ich ganz im gegenwärtigen Augenblick. 

Ich fühlte mich verbunden, friedlich, lebendig und frei. Manchmal ereigneten sich auch sogenannte Satori-Momente. So nennt man im Zen-Buddhismus kurze Erlebnisse von „Erleuchtung“ oder einem universellen, tiefen Verstehen des Seins. War es nicht das, was wir in der Meditation suchen?

Ein Übungsweg in Natur-Achtsamkeit

Ich stieß auf die Gehmeditation des Zen-Mönchs Thich Nhat Hanh (1926-2022) und das „Sensory Awareness“-Training von Charlotte Selver (1901-2003), das sich aus der deutschen Lebensreform-Bewegung entwickelt hatte. 

Außerdem fand ich reichhaltige Bezüge in meiner damaligen Arbeit als Naturerlebnis-Pädagogin, wo es viel darum ging, die Natur - und sich selbst in Kontakt mit ihr - bewusster wahrzunehmen. Und schließlich: Ereignete sich das „Erwachen“ des Buddha nicht auch unter einem Baum?!

Es gab also genug Gründe, um der Meditation noch eine Chance zu geben – aber auf meine Weise. Viele Jahre später habe ich aus meinen Erfahrungen einen Übungsweg in Natur-Achtsamkeit entwickelt, den ich heute auch lehre: Die PAN-Praxis. 

Wie die Natur dir hilft

Mit geschlossenen Fenstern, Türen und Augen versuchen Meditierende gewöhnlich einen störungsfreien Raum zu kreieren, in dem sie sich konzentriert der Innenschau widmen können. Beim Nichtstun und ohne Anregungen von außen taucht dabei schnell das obige Phänomen auf: 

Wie eine wildgewordene Affenhorde toben die Gedanken durch den Kopf, zerren dich hierhin und dorthin, drängen dich zur Aktivität („Das muss ich unbedingt noch auf die To-do-Liste schreiben“) und sind mehr mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt als mit der Gegenwart.

Aber was bedeutet überhaupt „störungsfrei“? Wer unter freiem Himmel meditiert, erlebt ganz viele „Störungen“: Dort fliegt ein Vogel vorbei, es kitzelt die Sonne in der Nase und am Ohr sirrt eine Mücke. Alle diese Sinnesreize bringen den Geist mühelos wieder ins Hier und Jetzt zurück. Du brauchst gar nicht viel dafür zu tun.

Die Natur – ein urteilsfreier Raum

Friedrich Nietzsche sagte: „Wir sind so gern in der freien Natur, weil diese keine Meinung über uns hat.“ Neben der geistigen Präsenz ist Akzeptanz ein zentraler Aspekt der achtsamen Haltung. Es geht darum, (erst einmal) alles so sein zu lassen, wie es ist. 

In der Natur können wir uns angenommen fühlen, weil wir hier nichts tun und niemand sein müssen. Wir sind nur ein Lebewesen von vielen. Selbstzweifel und Leistungsdruck fallen von uns ab und der innere Kritiker hat mal Sendepause. Was könnten bessere Bedingungen sein, um die achtsame Haltung zu praktizieren?

Das Gefühl der Verbundenheit ist ein wichtiger Faktor für seelische Gesundheit und Wohlbefinden. In der PAN-Praxis kultivieren wir es ganz explizit, indem wir die Aufmerksamkeit auf die Verbindung mit der Natur richten. Das hilft uns auch dabei, seelisch widerstandsfähiger zu werden und uns stärker für den Schutz der Natur einzusetzen.

Denn letztlich kann die Achtsamkeitspraxis kein Egotrip sein, sondern richtet sich immer auf eine Öffnung zur Welt und zum Leben hin. Achtsamkeit in der Natur ist der Schlüssel dazu.

4 Tipps für deinen Einstieg in die Achtsamkeitspraxis in der Natur:

  1. Beginne an einem Ort in der Nähe, an dem du dich wohlfühlst und den du täglich aufsuchen kannst, z.B. ein Garten, Stadtpark oder Friedhof.

  2. Setz dich hin oder sei in Bewegung und richte deine Aufmerksamkeit zunächst nach innen (Gefühle, Gedanken, Körperempfindungen), dann nach außen (alle 5 Sinne) und schließlich auf die Verbindung zwischen innen und außen. Was macht das mit dir?

  3. Wenn Bewertungen auftauchen, widme dich ausführlicher dem, was unmittelbar mit den Sinnen wahrnehmbar ist und versuche, es urteilsfrei zu beschreiben. Was ändert sich dadurch?

  4. Erweitere die Haltung der PAN-Praxis auf deinen Alltag, indem du häufiger deine Sinne benutzt und dem Gefühl der Verbundenheit mehr Priorität gibst. 


BildÜber die Gastautorin: Sandra Knümann hat den Fachbuch-Bestseller „Naturtherapie“ geschrieben und bildet an ihrer „Psychologischen Akademie für Naturtherapie“ Natur-Achtsamkeitstrainer:innen und Naturtherapeut:innen aus. Nähere Infos zur PAN-Praxis findest du hier.


Quellen:

  • Gehmeditation nach Thich Nhat Hanh: Nhat Hanh, Thich (2008): Gehmeditation. DVD und CD. Arkana-Verlag.

  • Sensory Awareness: Brooks, Charles V.W. (1995): Erleben durch die Sinne. Junfermann-Verlag.

  • Fachbuch für Therapeut:innen/Coaches: Knümann, Sandra (2019): Naturtherapie - Mit Naturerfahrungen Beratung und Psychotherapie bereichern. Beltz-Verlag.

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