Warum wollen wir reisen?
Reisen war viele Monate fast nicht möglich, das Fernweh wuchs. Warum zieht es uns auf Reisen? Was suchen wir in der Ferne, das es auf Balkonien nicht gibt?
Warum wollen wir reisen?
Ich packe meinen Koffer....
Es reichte ein zarter Curryduft an einem heißen Sommertag und ich war gedanklich wieder auf einem Foodmarkt in Thailand. Im Winter wurde gegen die Glätte Salz auf die Straße gestreut. Das hat für Kopfkino gereicht: Es roch nach Ostsee! Gut, ich muss zugeben, dass ich wegen extremen Reisemangels in den letzten Monaten sehr, sehr starke Fernweh-Symptome hatte. Da kann dann schon einmal Streusalz ausreichen für die gedankliche Fatamorgana.
Aber warum zieht es uns eigentlich so in die Ferne? Wenn es nur um Entspannung geht, so kann ich auch im heimischen Bett gemütlich ausschlafen. Wenn es um das Neue, das Abenteuer geht, so kann ich mir auch hier in Berlin ein neues Hobby suchen. Müssen wir Zuhause erst vermissen, um es wieder wertschätzen zu können?
Was ist es also, was den Zauber des Reisens ausmacht?
Raus aus der Routine
Das Wort Urlaub geht auf das alt- und mittelhochdeutsche Wort "urloup" zurück und bedeutet “Erlaubnis”. Es waren erstmals Ritter, die ihre Lehnsherren um die Erlaubnis baten, wegzugehen. Urlaub gibt uns auch heute noch die Erlaubnis, die alltäglichen Routine zu verlassen. Natürlich fallen uns da erst einmal die Verpflichtungen ein, auf die wir an dem ein oder anderen Tag verzichten könnten: Wäsche waschen, arbeiten, den Müll raus bringen. Da sind aber auch noch die Routinen im Alltäglichen, die wir gar nicht lästig finden: Ein wöchentlicher Brunch mit FreundInnen, das Laufen gehen mit der Sportgruppe oder die Mittagspause mit den KollegInnen, die wir gerne mögen.
Ob lästige Verpflichtung oder liebsame Routine: Der Urlaub reißt uns aus dem Bekannten heraus. Er gibt uns so die Erlaubnis zur Freiheit. Ob wir diese Erlaubnis nutzen, liegt ganz bei uns.
„Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen“.
Das ist ein Auszug aus Hermann Hesses “Stufen”. Es entstand 1941, nach langer Krankheit Hesses. Er schreibt von den Stufen, die wir auf unserem Lebensweg nehmen – und nehmen müssen, bevor vor lauter Routine die Lähmung einsetzt. Womöglich ist auch das Reisen als Stück unseres Lebenswegs zu betrachten. Wenn uns im Alltag die “lähmende Gewöhnung” einzusetzen droht, bietet der Urlaub eine kurzzeitige Abwechslung. Mitunter ist die Reise nicht die nächste große “Stufe” unseres Lebens, kann aber vor dem “Erschlaffen” schützen. Insbesondere wenn wir eine Auszeit von stressigen Routinen nehmen können, setzt die Erholung ein.
Reisen macht glücklich
Der einfachste Grund, warum wir etwas wollen? Es macht uns glücklich. Wenn wir die Wahl haben, ob wir unser Geld für Reisen oder Konsumgüter verwenden, ist man aus der Glücks-Perspektive meist mit der Reise gut beraten. Erkenntnisse aus der positiven Psychologie zeigen, dass uns Erfahrungen glücklicher machen als Dinge. Warum? Weil sie irgendwann auch wieder vorbei sind.
Was paradox klingt, ist mit der sogenannten hedonistischen Tretmühle zu erklären. Wir gewöhnen uns an Dinge, die uns umgeben und bleiben. Das Zufriedenheitslevel sinkt nach dem Kauf recht schnell wieder auf das Normalniveau ab. Bei Erfahrungen, wie z. B. Reisen, ist das anders. Was bleibt, ist die (hoffentlich) positive Erinnerung, die uns begleitet.
In einer Studie fand man zudem heraus, dass bereits die Zeit vor dem Urlaub einen positiven Einfluss auf unsere Zufriedenheit hat: Wir verspüren Vorfreude.
Die neue Reisewelt, wie soll sie aussehen?
Erst seit dem Zeitalter der Industrialisierung ist das Reisen für die breite Bevölkerung zugänglich. Die großen weißen Flecken auf der Landkarte gibt es nicht mehr. Die Erfindung des Pauschalurlaubs und sinkende Flugpreise machten Massentourismus möglich.
Der Tourismus ist zum drittgrößten Wirtschaftszweig weltweit geworden. Erreichte die Menschheit 2019 einen neue Reiserekord, so stand die gesamte Reiseindustrie mit Beginn der Corona Pandemie auf einmal still. Der Natur tat es gut. Dank ausbleibender Touristenströme erholten sich Korallenriffe und Tiere kehrten zurück. An einem gesperrten Strand in Thailand wurden erstmals wieder Babyschildkröten gesichtet.
Wie geht es nun also weiter, wo sich die Welt aus Corona-Sicht gerade ganz langsam zu öffnen und zu normalisieren scheint und Sommerurlaube wieder geplant werden? Eine mögliche Variante ist, dass die Lust auf eng-an-eng Massentourismus inklusive Kreuzfahrten abgeflacht sein könnte. Möglich wäre auch, dass wir Urlaub neu zu schätzen wissen und nicht um die halbe Welt fliegen müssen, um ihn als besonders zu erachten. Oder aber wir erleben eine "Jetzt-erst-recht" Mentalität. Wo wir doch so lange auf das Reisen verzichten mussten, wird nun alles nachgeholt. Denkbar ist jede der Optionen.
Der Ausbruch aus der Routine, Neues zu erleben, Erholung durch Tapetenwechsel zu finden – all das erklärt, warum Reisen diesen Reiz auf uns ausübt. Die Reise stärker im Einklang mit der Natur zu gestalten, muss den Reiz nicht schmälern. Wir können trotzdem raus aus unserer Filterblase und die Babyschildkröten zurück an den Strand.
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