Alles deine Schuld? Lerne, dir zu verzeihen

Wenn Beziehungen in die Brüche oder Freundschaften kaputt gehen, werden Menschen enttäuscht und Schuldgefühle bleiben nicht aus. Doch wie geht man eigentlich mit dem schlechten Gewissen um?

von Timea Cheeseman

Sie können nicht nur unser Leben verdunkeln, sondern auch eine tonnenschwere Last auf unsere Herzen legen: Schuldgefühle. Das zermürbende Gefühl, eine Schuld mit sich zu tragen, kann unseren Alltag stark belasten und manche sogar über Jahre begleiten. Schuldig oder unschuldig? Das ist für die eigenen Gewissensbisse egal, denn Schuldgefühle sind rein subjektive Gefühle und objektiv nicht immer nachvollziehbar. Oft entwickeln wir genau dann Schuldgefühle, wenn wir unseren eigenen moralischen Ansprüchen nicht gerecht werden konnten. Wie und wann sich das eigene Gewissen zu Wort meldet, ist also von Mensch zu Mensch verschieden. Haben wir jedoch einmal Schuldgefühle entwickelt, können sie sogar die Gesundheit beeinflussen. Von Magen- und Kopfschmerzen über Gereiztheit, Ärger und Zweifel bis hin zu Panik oder Depression – Schuldgefühle belasten Psyche und Körper.

Gerade weil Schuldgefühle rein subjektive Gefühle sind, können wir nicht immer darauf hoffen, dass uns allein der Zuspruch unserer Mitmenschen von unseren Schuldgefühlen befreit, sondern müssen lernen, zu reflektieren, Mitgefühl für uns selbst zu entwickeln und uns zu verzeihen. Mit unserem Artikel wollen wir dir drei Schritte zeigen, die dich dabei unterstützen können, besser mit Schuldgefühlen umzugehen.

1. Reflexion – Was kann ich mir wirklich vorwerfen?

Der erste wichtige Schritt in der Auseinandersetzung mit den eigenen Schuldgefühlen ist die Reflexion. Denn bevor du an der Bewältigung arbeiten kannst, musst du festlegen, ob du überhaupt Schuld trägst und wenn ja, wo genau deine Schuld liegt. Schau noch einmal auf die Situation zurück und nimm dir genügend Zeit, um sie zu reflektieren. Was habe ich “falsch” gemacht? Wie viel Kontrolle hatte ich über die Situation? Gab es noch andere Faktoren, die die Situation beeinflusst haben? Je nach Gegebenheit können die Antworten sehr komplex sein. Wenn du lediglich den Geburtstag eines guten Freundes vergessen hast, wirst du sicherlich nicht allzu lange brauchen, um festzustellen, was genau schief gelaufen ist. Wenn es aber darum geht, eine gescheiterte Beziehung wieder aufzuarbeiten, solltest du dir genügend Zeit geben, der Sache auf den Grund zu gehen und eventuell auch darüber nachdenken, Hilfe von außen anzunehmen. Da unsere Schuldgefühle vor allem aus unseren eigenen moralischen Ansprüchen und Normen wachsen, kann es helfen, eine neutrale Person hinzuziehen, mit der du deine Situation besprichst und die dir dabei helfen kann, eine objektivere Sichtweise einzunehmen. Vielleicht erkennst du auch, dass du Schuldgefühle hast, obwohl du für das Schuld-Ereignis gar keine Schlüsselrolle gespielt hast – zum Beispiel, wenn du dich als Kind immer für die Trennung deiner Eltern verantwortlich gemacht hast. Wichtig ist bei der Reflexion vor allem, dass du ehrlich zu dir bist und am Ende genau feststellst, wie hoch dein eigener Schuldanteil ist.

Praxis-Tipp: Manche Psychotherapeuten arbeiten mit einem so genannten “Schuldkuchen”, den auch du dir zur Hilfe nehmen kannst. Wenn du dir die Kraft der Visualisierung zu Nutze machen willst, kannst du dir dafür einen großen Kreis aufmalen, der den Schuldkuchen symbolisieren soll. Nun versuche alle Faktoren und Schlüsselelemente zu bestimmen, die zu dem Schuld-Ereignis geführt haben und zeichne sie, ihrem Schuldanteil entsprechend, als größere oder kleinere “Kuchenstücke” ein. Diese Übung kann dir helfen, genau zu bestimmen, wie groß der eigene Schuldanteil wirklich ist, und ihn in Relation zu den anderen Faktoren zu sehen.

2. Akzeptanz – Wie kann ich Verantwortung übernehmen?

Nachdem du die Situation noch einmal genau betrachtest hast, und dir mit Hilfe eines “Schuldkuchens” mehr Bewusstsein für deinen eigenen Schuldanteil geschaffen hast, ist es jetzt an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Hast du mit deinem Verhalten wirklich eine Schuld auf dich geladen, gibt es zwei Arten, auf die du Verantwortung für deine Handlung übernehmen kannst:

Mit welcher Strategie kann ich eine Wiederholung vermeiden? Reue alleine reicht nicht, um deine Schuldgefühle loslassen zu können. Du bedauerst dein Verhalten zutiefst? Dann sei ehrlich mit dir selbst und überlege, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sich die Situation wiederholt. Jemand, der zum Beispiel Schuldgefühle hat, weil er seinen Partner betrogen hat, sollte ehrlich überlegen, ob es wirklich nur ein Ausrutscher war oder eventuell die Gefahr besteht, dass ein Betrug noch einmal passiert. Nur wenn du dein Verhalten änderst und eine Strategie für dich entwickelst, den vergangenen Fehler zu vermeiden, gibst du dir eine nachhaltige Chance, Schuldgefühle abzuwerfen.

Praxis-Tipp: Notiere dir Antworten zu den folgenden Fragen und entwickle daraus eine eigene Strategie: Welche Umstände haben damals mein Verhalten beeinflusst? Welche dieser Umstände lassen sich ändern? Was würde ich jetzt anders machen? Was kann ich jetzt tun, damit ich nicht wieder in die gleiche Situation komme? Welche Menschen können mich dabei unterstützen?

Bin ich jemandem eine Entschuldigung schuldig? Verantwortung zu übernehmen heißt auch, sich bei den Menschen zu entschuldigen, die gegebenenfalls durch dein Verhalten in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Das muss natürlich nicht immer der Fall sein, doch meistens entwickeln wir vor allem dann ein schlechtes Gewissen, wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Entscheidung vielleicht richtig für uns war, aber nachteilig oder verletzend für andere. Daher kann es hilfreich sein, Kontakt mit den Menschen aufzunehmen, die man womöglich verletzt hat und Ihnen eine Erklärung oder Entschuldigung anzubieten.

*Praxis-Tipp: Habe immer auch das Wohl der anderen Person im Blick. Wenn du dich nur entschuldigen willst, weil du möchtest, dass die andere Person dich von deiner Schuld erlöst, ist die Chance einer Enttäuschung groß. Schaffe dir daher mehr Bewusstsein für die betroffene Person und beantworte für dich folgende Fragen: Wie habe ich die Person durch meine Handlung verletzt? Möchte die Person eine Entschuldigung von mir? Oder bringe ich damit für die Person nur schmerzliche Erinnerungen hoch? *

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3. Vergebung – Wie kann ich mir verzeihen?

Mit den ersten beiden Schritten hast du bereits den Weg zur Vergebung geebnet. Nun geht es darum, dir selbst zu verzeihen. Wir wollen dir drei Tipps mit auf den Weg geben, die dir dabei helfen können, eine andere Perspektive einzunehmen und Selbstmitgefühl zu üben.

Wusste ich es damals wirklich besser? Viele unserer Entscheidungen treffen wir, weil wir davon überzeugt sind, dass es in dem Moment das Richtige ist. Möchtest du dir selbst verzeihen, kann es helfen, dich noch einmal ehrlich zu fragen, ob du es denn damals wirklich besser wusstest? Natürlich sind wir im Nachhinein immer etwas klüger, weil wir vielleicht mehr Lebenserfahrung oder einen besseren Blick auf die Gesamtsituation haben, oder, weil die emotionale Distanz zwischen uns und dem Erlebnis größer ist. Aber wie sah es damals aus? Sollte es so sein, dass du es damals wirklich nicht besser wusstest, kann dir diese Erkenntnis helfen, mehr Akzeptanz für das eigene Verhalten zu entwickeln und dir leichter zu verzeihen.

Was macht mich als Mensch aus? Ebenso wichtig für die eigene Vergebung ist es, ganz klar zwischen einer Handlung und dir als ganzer Person zu unterscheiden. Du hast einen Fehler gemacht? Ok, das heißt aber nicht, dass du an sich ein schlechter Mensch bist – Auch wenn du enttäuscht von dir bist und nicht verstehen kannst, wie dir so ein Fehler passieren konnte. Das Wichtigste ist, dass du daraus nicht auf deine ganze Person schließt. Versuche auch deine positiven Eigenschaften und Charakterzüge im Blick zu behalten und dich nicht nur durch einen Fehler zu definieren – Ein Fehler macht niemanden zu einem schlechten Menschen, sondern ist nur ein kleiner Bruchteil von dem, was dich als Mensch ausmacht.

Wie kann ich mir Selbstmitgefühl schenken? Wenn uns Schuldgefühle plagen, wünschen wir uns manchmal nichts mehr, als dass wir von jemandem erlöst werden – Jemandem, der uns vergibt, damit wir endlich wieder nach vorne schauen können. Doch nicht immer bekommen wir diese Vergebung und Erlösung. In solchen Momenten ist es ganz besonders wichtig, dass wir uns mehr Selbstmitgefühl schenken und liebevoll mit uns und unserem Körper umgehen. Versuche daher auch einmal, den Fokus auf dich und deine Bedürfnisse zu richten. Was würde dir jetzt gut tun? Was würdest du einer Freundin raten, die in deiner Situation ist? Sich bewusst zu machen, dass man selber genauso viel Aufmunterung verdient hat, wie die Person, die man eventuell enttäuscht oder verletzt hat, ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur eigenen Vergebung.

Wie kann ich einen endgültigen Abschluss finden? Manchmal kann es helfen, ein kleines Befreiungsritual zu entwickeln, um auch wirklich einen Abschluss für sich zu finden. Überlege dir, wie du das Loslassen deiner Schuldgefühle und den Neuanfang zelebrieren möchtest. Es kann zum Beispiel helfen, noch einmal all deine Schuldgefühle aufzuschreiben oder sich von einem Gegenstand zu befreien, der dich an das Schuld-Ereignis erinnert. Egal, für was du dich letztendlich entscheidest, Hauptsache, du findest für dich einen symbolischen Abschluss, der dir hilft, wieder nach vorne zu schauen.

Schuldgefühle lösen sich nicht einfach so in Luft auf, aber wenn du dir ehrlich über deinen Schuldanteil bewusst wirst, versuchst, Verantwortung für deine Handlung zu übernehmen und dich in Selbstmitgefühl und der eigenen Vergebung übst, kannst du mit der Zeit das belastende Gefühl der Schuld hinter dir lassen und dich auf das konzentrieren, was genau vor dir liegt: das Hier und Jetzt.

Die Podcastfolge zum Impuls der Woche:

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Bildquelle: Priscilla Du Preez

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