Oxytocin: Kuschelhormon mit Nebenwirkung

Ein Hormon, das die Empathie fördert, dabei hilft, die Gefühle anderer Menschen zu lesen und Stress bekämpft? Klingt verlockend, wir hätten gerne ein Vorratspack. Wenn da nicht der Beipackzettel wäre.

von Alexandra Gojowy

Im Internet wird es als “Liquid Trust” verkauft und lange war man der Meinung, es könnte vielleicht sogar die Liebe retten. Für Oxytocin – ursprünglich als “Frauenhormon” bekannt – kursieren die wildesten Anwendungsbereiche. Damit ist Oxytocin sozusagen der Popstar unter den körpereigenen Hormone. Als Spray angewendet soll es angeblich Vertrauen bei anderen erzeugen. Zugegeben, so abwegig scheint die Idee gar nicht. Denn Oxytocin spielt tatsächlich eine wichtige Rolle für emotionale Bindungen. Zuerst beobachtet wurde dieser Effekt bei der Beziehung zwischen Müttern und ihren Neugeborenen. Doch nicht nur Mütter profitieren von den positiven Auswirkungen des Hormons. Längst hat die Forschung herausgefunden, dass auch Männer und Paare durch Oxytocin beeinflusst werden – vor allem positiv, aber nicht nur.

Wir haben uns den Stand der Wissenschaft angesehen und für euch zusammengetragen, was es mit der Geschichte vom "Wunderhormon" auf sich hat, welche weniger angenehmen Wirkungen damit verbunden sind, und was Oxytocin mit Meditation zu tun hat.

Mit Nasenspray zum Empathie-Boost

Oxytocin führt zu einem Gefühl von Verbundenheit und Vertrauen. Besonders attraktiv ist dabei die sogenannte Rückkopplung. Denn sobald wir die wohligen Gefühle bemerken, schickt der Körper noch eine Extraportion in die Blutbahn. Ausgelöst durch den Hautkontakt mit dem Partner sorgt ein Oxytocin zum Beispiel für ein Gefühl der Vertrautheit nach dem Sex. Eines der beliebtesten Beispiele für diesen Effekt ist die amerikanische Präriewühlmaus. Diese Nager paaren sich beim ersten Zusammentreffen bis zu vierzig Stunden am Stück – und bleiben anschließend lebenslang monogam zusammen. Oxytocin programmiert den Körper der Maus quasi auf Treue. Das lässt sich natürlich nicht so einfach auf den Menschen übertragen. Verabreicht man das Hormon künstlich, wie in etwa durch Nasenspray, soll es aber tatsächlich Stress reduzieren, Aggressivität mildern und Vertrauen stärken.

Um die Effekte des Oxytocin zu untersuchen, luden etwa Forscher der Universität Zürich ihre Probanden zu einem Investitionsspiel ein. Dabei wurde betrachtet, ob die Teilnehmer nach Verabreichung des Hormons eher bereit waren, einer anderen Person Geld zu leihen. Tatsächlich zeigten die Probanden eine größere Bereitschaft, ihr Geld auszulegen, als die Kontrollgruppe. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass Oxytocin einen stärkenden Effekt auf das Vertrauen gegenüber Mitmenschen haben kann.

Ein Hormon, das die Empathie fördert, dabei hilft, die Gefühle anderer Menschen zu lesen und Stress bekämpft? Klingt verlockend, wir hätten gerne einen großen Vorratspack für den Eigenbedarf. Wenn da nicht der Beipackzettel wäre.

Kuscheln mit der Schattenseite

Wieso trotzdem nicht jeder mit Oxytocin-Nasenspray in der Tasche herumläuft, hat verschiedene Gründe. An dieser Stelle sei gesagt, dass die Erforschung des Hormons noch am Anfang steht und bisher unklar ist, ob es überhaupt therapeutisches Potenzial hat. Denn unter gewissen Umständen sind die negativen Effekte des Hormons nicht zu verachten. Wissenschaftler der Feinberg School of Medicine konnten belegen, dass Oxytocin das soziale Gedächtnis bestimmter Hirnregionen stärkt. Leider liegt in diesen Regionen auch unser Speicher für negative Erinnerungen. Und diese werden in stressigen oder konfrontativen Situationen ebenfalls stimuliert. Die Forscher folgerten, dass nicht nur Wohlbefinden verstärkt wahrgenommen wird, sondern unter Umständen auch schmerzhafte Erinnerungen sowie Spannungen und Angst. Das Hormon, das unser Vertrauen stärkt, könnte also gleichzeitig die Macht haben, es wieder zu nehmen.

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Besonders interessant ist auch die Wirkung auf das Sozialverhalten zwischen Gruppen. Denn diese legen unter dem Einfluss von zusätzlichem Oxytocin nicht nur liebevolles Verhalten an den Tag. Um das zu untersuchen, ließen Wissenschaftler Gruppen unterschiedlicher Interessen miteinander verhandeln, nachdem ihnen zusätzliches Oxytocin verabreicht wurde. Dabei zeigte sich deutlich, dass die Mitglieder einer Gruppe zwar untereinander kooperierten, dem gegnerischen Team jedoch eine Zusammenarbeit verweigerten. Die durch Oxytocin ausgelösten sozialen Verhaltensmuster sind folglich nur auf vertraute Gruppenmitglieder anwendbar. Fremden gegenüber kann es zu Ausgrenzung sowie Neid und Konkurrenz führen. Generell verstärkt Oxytocin die Aufmerksamkeit für soziale Reize – auch für die weniger schönen. Klingt, als wäre Oxytocin kein Kuschelhormon, sondern eine körpereigene Version von Jekyll und Hyde. Jedenfalls wenn man auf seine magische Wirkung allein setzt.

Oxytocin und Meditation

Auch Meditation steht in dem Ruf, sich sehr positiv auf Beziehungen auszuwirken – Was passiert dann, wenn man diese beiden "Wundermittel" kombiniert? Meditation hilft dabei, sich und seine Emotionen besser zu verstehen und schult somit auch das Mitgefühl und Verständnis für andere. Welche Rolle Oxytocin dabei spielt, konnte zwar noch nicht eindeutig geklärt werden, wird aber eifrig erforscht. Ein amerikanisches Forscherteam der Universitäten in North Carolina und Ohio wollte herausfinden, ob Oxytocin einen positiven Einfluss auf die Gefühlslage bei der Meditation hat, und untersuchte diese Frage anhand einer Testgruppe meditierender Männer. Ein Teil der Probanden erhielt Oxytocin in Form von Nasenspray, die andere Hälfte lediglich ein Mittel mit Placeboeffekt. Das Ergebnis erstaunte die Wissenschaftler: Männer, die während der Meditation zusätzliches Oxytocin im Blut hatten, berichteten von einem intensiveren und positiveren Gefühlserleben als die Kontrollgruppe. Darüber hinaus konnte dieser Effekt noch eine Woche nach dem Experiment aufrecht erhalten werden. Grund dafür ist die bereits erwähnte Rückkopplung. Positive Emotionen werden während der Meditation verstärkt wahrgenommen. Die Wirkung durch das ohnehin schon ausgeschüttete Oxytocin wurde durch das Nasenspray zusätzlich erhöht. Mit der Folge, dass die Probanden von einem intensiven, spirituellen Erlebnis berichteten. Laut der Studie korreliert das Gefühl von Spiritualität also mit dem Hormon. Es ist allerdings noch unklar, wie genau dieser Prozess im Körper abläuft.

Wer regelmäßig meditiert, braucht ohnehin kein Nasenspray mit Wunderhormon. Denn durch die gezielte Ausrichtung des inneren Fokus werden schöne Momente sowieso stärker wahrgenommen und führen ganz automatisch zu einem Glücksgefühl. (Natürliche) Glückshormone und Meditation – Ein echtes Traumpaar, das man unter keinen Umständen voneinander trennen sollte.

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